Drei Jahre russische Ukraine-Invasion: Gibt es einen Waffenstillstand?

LOGBUCH LXX (18. Februar 2025). Von Christoph Rohde


US-Präsident Donald Trump forciert seit seinem Amtsantritt Verhandlungen, die auf ein Ende des Ukraine-Krieges zielen sollen. Er akzeptiert dabei prinzipiell ein russisches Sicherheitsvorfeld, indem er den NATO-Beitritt der Ukraine in weite Ferne rückt und von beiden Kriegsparteien Konzessionen fordert. Mit seinem Ansatz bestätigt er das Großmachtdenken realistischer Staatsmänner von Metternich über Bismarck bis Kissinger. Diese Staatsmänner gestanden dem Völkerrecht lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu und teilten die Welt in Einflußsphären ein.

Die Amerikaner, die im Sinne der Monroe-Doktrin von 1823 traditionell die Herrschaft über die westliche Hemisphäre beanspruchen, erkennen durch Donald Trump die Sicherheitsinteressen Rußlands in dessen geopolitischen Umfeld an und wenden sich damit gegen den Großteil der transatlantischen Elite, die die Wiederherstellung der gesamten Ukraine samt der Krim-Halbinsel weiterhin als Ziel verfolgt. Es ist für John Mearsheimer (2001) die Tragik der Großmachtpolitik, daß kleinere Staaten, die an große Mächte angrenzen, zum Spielball der Großmächte werden. Die Entscheidung über ihr Schicksal wird von anderen getroffen.

Donald Trump plant ein Treffen mit den Präsidenten Putin und Selensky in Saudi-Arabien. Auf dem diplomatischen Parkett spielen die Europäer, die sich im Vorfeld der amerikanischen Wahl deutlich für die demokratische Kandidatin Kamala Harris ausgesprochen hatten, keine Rolle. Der Moralismus der Europäer stößt bei der neuen US-Administration unter Donald Trump auf scharfe Kritik, sodaß Trump europäische Einmischung zurückweist. Der diplomatische Dilettantismus des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier sowie der fachlich nicht gerüsteten deutschen Außenministerin Annalena Baerbock kommt jetzt wie ein Bumerang zurück. Es entsteht eine Kollektivhegemonie großer Mächte, die nicht in Begriffen des Völkerrechts, sondern des strategischen Mächtegleichgewichts denken und handeln. Damit steht das Weltbild dieser Großmächte dem Weltbild der europäischen Eliten diametral entgegen, die sich der Welt der Werte und Normen verpflichtet fühlen und gar nicht merken, daß sie massiv an Einfluß in der Welt verlieren.


Europa bleibt außen vor

Der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance hat den häufig moralisierenden, aber handlungsunfähigen Europäern auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Spiegel vorgehalten. Er monierte in einer kurzen Rede die mangelnde Bereitschaft der Europäer zur Selbstverteidigung, während diese stets hohe Werte postulierten, anstatt handlungsfähig zu werden. Vance behauptete, daß Europa die klassischen liberalen Werte gar nicht mehr realisiere, sondern sich selber illiberal entwickle, zum Beispiel im Bereich der Meinungsfreiheit, und weckte damit die Empörung der europäischen Eliten, die sich seit Jahrzehnten zur moralischen Selbstversicherung im Bayerischen Hof in München treffen.

Bereits im Jahre 2003 hatte der amerikanische Neokonservative Robert Kagan in seinem Werk Macht und Ohnmacht Europa als schöngeistige Venus, die USA jedoch als handlungskräftigen Mars dargestellt und scharfe Kritik am europäischen Idealismus geübt, der nicht durch Taten oder Potenziale gedeckt sei und sich einfach auf Amerikas Stärke verlasse, während man gleichzeitig das amerikanische Handeln als bellizistisch kritisiere.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz forderte der ukrainische Präsident Selensky am 15. Februar 2025, daß keine Entscheidung über Europa ohne Europa getroffen werden dürfe – eigentlich ein einsichtiger Gedanke. Aber woher soll der Einfluß Europas kommen, das sich mit Wirtschaftsschwäche, Energieabhängigkeit, einer kaum zu kontrollierenden Migrationswelle aus Afrika und den islamischen Staaten sowie mit unrealistischen Klimastrategien herumschlägt? Woher der sicherheitspolitische Einfluß in einem bürokratischen Apparat, der aufgrund institutioneller Intransparenz und normativer Differenzen in einem Zustand permanenter Uneinigkeit verharrt? Selensky forderte in seiner Rede die (seit 1954 immer wieder vergeblich angestrebte) Installierung einer europäischen Armee – ein weitgehend unrealistisches Desiderat. Selensky muß jedoch auf Europa hoffen, da Donald Trump einen baldigen Beitritt der Ukraine zur NATO mittelfristig ausgeschlossen hat.

Europa fehlt aufgrund seiner gesichtslosen, nihilistischen Philosophie jeder Wille zur Selbstbehauptung, moniert der Historiker Emmanuel Todd, der in seinem aktuellen Werk (Todd 2024) vom „Westen im Niedergang“ spricht. Der Westen steige in allen Machtaspekten ab, weil er aufgrund des fehlenden Wertefundamentes auch in demographischer Hinsicht mittelfristig nicht mehr als globaler Akteur betrachtet werden könne.

Im Falle eines von den USA, Rußland und der Ukraine verhandelten Waffenstillstandes in der Ukraine müßten die Europäer, so Trumps Vorstellung, die Bereitstellung von Friedenstruppen zur Absicherung eines Waffenstillstandes selber stemmen. Dazu sind sie jedoch ohne die Amerikaner nicht in der Lage. Eine um internationale Kräfte wie Pakistan, Indien oder Südafrika, die bereits zahlreiche Peacekeeping-Missionen der Vereinten Nationen unterstützt haben, verstärkte Friedenstruppe sollte eine Waffenstillstandslinie absichern. Der Sonderbeauftragte der USA für die Ukraine und Rußland, Keith Kellogg, sagte auf der Münchner Sicherheitskonferenz, es sei unrealistisch, daß die Europäer an den Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine teilnehmen könnten.


Wie ist die Lage an der ukrainisch-russischen Front?

Im Abnutzungskrieg in der Ukraine gibt es widersprüchliche Entwicklungen. Die Russen drängen im Bereich Pokrowsk nach Westen. Laut dem österreichischen Oberst Markus Reisner läuft durch diese Stadt die dritte Verteidigungslinie der Ukrainer; diese haben Ende Januar die Truppen in diesem Bereich verstärkt und den Vormarsch der Russen vorübergehend aufhalten können. Fällt jedoch diese Stadt, liegen 150 Kilometer freier Raum bis zum Dnjepr vor den Russen. Die Russen haben im Laufe des Jahres 2024 im Donbass rohstoffreiche Gebiete erobert; allein der Lithium-Abbau kann laut Experten den Krieg der Russen langfristig finanzieren. Dazu greifen die Russen regelmäßig mit Marschflugkörpern und Drohnen die kritische Energieinfrastruktur der Ukraine an und versuchen mit gezielten Schlägen, die Waffenlieferungen aus dem Westen zu zerstören. Andererseits ist es den Ukrainern gelungen, das eroberte Gebiet um Kursk im russischen Kernland zu konsolidieren, um dieses als Verhandlungsmasse zum Austausch in ein Abkommen einzubringen.

Dazu zeigt die auf Drohnenangriffen basierte strategische Disruptionskampagne ukrainischer Spezialeinheiten innerhalb Russlands Wirkung, indem sie durch Luftschläge auf Raffinerien die russischen Ölexporte massiv beeinträchtigt und den Nachschub an Waffen und Versorgung der russischen Truppen behindert. Die Erfolge ukrainischer Anschläge auf russischem Territorium sind vor allem dadurch zu erklären, daß viele Ukrainer russisch sprechen und verstehen, aber wenige Russen ukrainisch. Im Bereich der Aufklärung potenzieller Ziele ist dies von unschätzbarem Vorteil.

Weil sie sich in der Offensive befindet, erleidet die russische Armee weit höhere Verluste (Beobachter sprechen von mehr als 800.000 Toten und Verwundeten) als die Ukrainer (etwa 400.000 Tote und Verwundete). Doch Rußland kann den Krieg materiell und personell länger durchhalten als die Ukraine, deren Personalrekrutierung sich ohne die Ausübung von Zwang und ohne monetäre Anreize als weit schwieriger erweist.


Das humanitäre Elend der Drohnenkriegführung

Die „gläserne Kriegführung“ stellt in zynischem Sinne die Innovation dieses Krieges dar. Die bekannten unmenschlichen Folgen eines Abnutzungskrieges in klassischen Schützengräben werden durch die Drohnenkriegführung in ihrer Inhumanität noch gesteigert. Diese ist auf taktischer Ebene gar zu einem strukturprägenden Element des Krieges geworden. Doch psychologisch gesehen hat die Drohnenkriegführung den Charakter des Krieges fundamental verändert, wie der einflußreiche Politikwissenschaftler Herfried Münkler bereits in Bezug auf das Targeted Killing der USA in Afghanistan, das heißt das gezielte Töten von Terroristen durch den Einsatz militärischer Drohnen, feststellte.

Die radikale Bedeutung der Drohnenkriegführung für einzelne Infanteristen in Abnutzungskriegen wurde aber erst im Ukraine-Krieg deutlich. Nachdem die Russen im Jahre 2014 bei der Krimbesetzung zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte Aufklärungsdrohnen erfolgreich in Verbindung mit getarnten „örtlichen Selbstverteidigungskräften“ eingesetzt hatten, haben sich bewaffnete Drohnen im gegenwärtig tobenden Abnutzungskrieg in der Ukraine als hochwirksame Waffen erwiesen. Der österreichische Oberst Reisner bezeichnet Drohnen als „Kalaschnikows der Lüfte“. Faktisch bedeutet die moderne Drohnenkriegführung: Wer in den Krieg muß, hat fast schon sein Todesurteil unterschrieben. Denn die Drohne findet den Infanteristen überall, ein Sich-Verstecken ist unmöglich; der Mensch wird zum Objekt einer luftgesteuerten Treibjagd.

Es ist der erste Krieg der Geschichte, in dem in allen Truppenteilen auf den Einsatz von Drohnen gebaut wird. Beide Seiten nutzen zivile und militärische Arten von Drohnen. Die Abwehr von Drohnen findet durch eine Störung der elektronischen Leitpfade mit Hilfe elektromagnetischer Impulse statt, das sogenannte Jamming. Rußland hat kabelgebundene Drohnen eingeführt, um das Jamming zu neutralisieren. Im Nahbereich erweist sich diese Maßnahme als wirkungsvoll.

Die taktische Ausrichtung der Bodentruppen hat sich durch die Drohnenkriegführung verändert. Nicht mehr große Verbände, sondern kleine Stoßtrupps versuchen, territoriale Gewinne zu erzielen, da das Risiko für große Truppenansammlungen aufgrund der einfachen Drohnenaufklärung zu hoch ist.


Geopolitische Folgen für Deutschland

Deutschland als Zentralmacht Europas stellt im Falle eines NATO-Einsatzfalles die Logistikdrehscheibe für das Bündnis dar. Doch zahlreiche Brücken sind nicht tauglich, um Panzer des Bündnisses zu transportieren. Die deutsche Rüstungsindustrie schrumpft im Rahmen der Energiewende und ihrer Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zusammen, sodaß wesentliche Kompetenzen nicht auf Dauer im Land gehalten werden können. Deutschland ist in Bezug auf die Drohnenkriegführung nicht einsatzbereit, obwohl die deutsche Firma Helsing 6000 Drohnen an die Ukraine liefert. Die Bundeswehr verfügt aber weder über die technologischen noch über die strategischen Einsatzfähigkeiten in diesem Bereich. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Hahn forderte im Dezember 2024 den Aufbau einer Drohnenarmee von 100.000 entwicklungsfähigen Einheiten. Bis 2029 rechnen Experten mit der Möglichkeit eines Angriffs Rußlands auf das NATO-Territorium, so zum Beispiel der Militärexperte Carlo Masala, da die Russen bis zu diesem Zeitpunkt ihre Fähigkeiten wieder restauriert hätten. Deutschland ist jedoch bis auf weiteres kaum fähig, seine nationalen und bündnisbezogenen Verpflichtungen zu erfüllen (Masala 2023).

Der Verfasser dieser Zeilen glaubt jedoch, daß die volkswirtschaftliche Basis Rußlands viel zu schwach ist, um einen Angriff auf die NATO ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Wie bereits in einem früheren Artikel formuliert, ist Putin kein geisteskranker Hasardeur, sondern ein Stratege der Selbsterhaltung, der aus Gründen einer Bedrohungswahrnehmung die Invasion in der Ukraine durchgeführt hat, deren Kosten er maßlos unterschätzt hatte. Weder die Intentionen noch die Fähigkeiten Rußlands lassen die Ableitung zu, daß Rußland über seine Sicherheitsinteressen hinausgehende imperialistische Ziele verfolgt (Nida-Rümelin und Weidenfeld 2022), auch wenn das Land in Bezug auf hybride Kriegführung westliche Staaten besonders im Cyberraum attackiert. Es ist deshalb vor allem wichtig, eine glaubwürdige und verteidigungsfähige Waffenstillstandslinie in der Ukraine herzustellen, die durch multinationale Truppen transparent gesichert werden kann.


Fazit: Weg vom Werteimperialismus, hin zu Interessen und Kompromissen

Nicht nur J. D. Vance wandte sich gegen die luftige, aber abstrakte werteorientierte Außenpolitik der EU, sondern auch der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar. Es bleibt den europäischen Staaten nichts anderes übrig als moralisch abzurüsten und strategische und moralische Maximalziele aufzugeben. Denn die eigenen Fähigkeiten reichen nicht einmal aus, um das europäische Territorium wirksam zu verteidigen. Es ist dann völlig falsch, von der Ukraine zu erwarten, daß sie das Territorium von 2014 zurückerobert. Stattdessen sollte Europa bereit sein, einen von den Großmächten verhandelten vorübergehenden Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Rußland zu unterstützen. Donald Trump verlangt von der Ukraine für weitere militärische Unterstützung Anteile an den ukrainischen Rohstoffen; ein Deal, auf den sich Selensky nur zögerlich einlassen will. Deutschland hingegen fordert keinerlei Gegenleistungen für seine Unterstützung, trotz seiner prekären wirtschaftlichen Lage.

Denn mit jedem Kriegsjahr werden die europäischen Staaten, die Kriegsanrainer, in ihrer relativen Macht gegenüber ihren geostrategischen Konkurrenten geschwächt. Die USA sind im globalen Wettbewerb in Richtung des Pazifiks orientiert und Präsident Donald Trump gehört nicht zu den historisch sentimentalen transatlantischen Eliten. Die Anerkennung geopolitischer Realitäten bei gleichzeitiger Herstellung einer autonomen Verteidigungsfähigkeit gehört zu Europas wichtigsten Aufgaben in der nahen Zukunft.


Literatur

Robert Kagan: Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung. Berlin 2003.
Carlo Masala: Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende. München 2023.
John Mearsheimer: The Tragedy of Great Power Politics. New York 2001.
Julian Nida-Rümelin / Werner Weidenfeld: Perspektiven nach dem Ukrainekrieg. Europa auf dem Weg zu einer neuen Friedensordnung? Freiburg i. Br. 2022.
Emmanuel Todd: Der Westen im Niedergang. Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall. Neu-Isenburg 2024.

 

Abbildung: Zerstörtes Wohnhaus in Borodjanka  Oblast Kiew (pexels.com / Алесь Усцінаў)

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