Steuern wir in eine Technokratie? Gedanken von C. S. Lewis zu einem aktuellen Thema (2)

LOGBUCH XXXIII (15. September 2022). Von Norbert Feinendegen
 

Lewis’ Skepsis gegenüber einer Technokratie geht noch erheblich weiter, als im ersten Teil angedeutet wurde. Es ist immer gefährlich, Menschen zu viel Macht über andere Menschen zu geben. Da Menschen fehlbar sind, ist dies selbst dann gefährlich, wenn die Mächtigen aus den besten und lautersten Motiven heraus agieren. Umso größer ist die Gefahr, wenn man bedenkt, welche Wissenschaftler hier zu den wichtigsten Beratern einer Regierung ernannt werden: Würde ihr Interesse nur der Wissenschaft gelten, so würden sie sich vermutlich gar nicht für solche Beraterposten interessieren, sondern sich ganz ihren Forschungen widmen. Das Streben nach Macht und Einfluß in der politischen Sphäre hat sie genau auf jene Posten gebracht, derentwegen sie zu Regierungsberatern ernannt wurden.

In Lewis’ phantastischem Roman That Hideous Strength (dt. Die böse Macht, 1945) arbeiten diese Wissenschaftler im N.I.C.E., einer mit nahezu unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestatteten Nichtregierungsorganisation. Das Institut soll jene „konstruktive Fusion von Staat und Labor“ vorantreiben, „auf die so viele vorausschauende Menschen ihre Hoffnung auf eine bessere Welt gründen.“[1] Der Physikochemiker Hingest verläßt deshalb schon bald das N.I.C.E., weil er erkennt, daß es nichts mit Wissenschaft zu tun hat, sondern in Wahrheit eine politische Agenda verfolgt.

Worin besteht diese Agenda? Nimmt man die Ansprüche jener Wissenschaftler ernst, die sich in dieser Hinsicht äußern, so geht es hierbei um nicht weniger als die Zukunft – und damit das Schicksal – der gesamten Menschheit. Um dieses Schicksal wirksam nach den eigenen Ideen gestalten zu können, muß man natürlich in einer Position sein, die dies auch zuläßt; man muß also über Macht und Einfluss verfügen, die sich letztlich über die gesamte Welt erstrecken.

Als Quelle für solche Ansprüche standen Lewis Äußerungen von Wissenschaftlern wie dem Genetiker J. B. S. Haldane (1892–1964) und dem Evolutionsbiologen Sir Julian Huxley (1887–1975) zur Verfügung, die ihre Vorstellungen von Eugenik, Bevölkerungskontrolle und wissenschaftlich geplanter Gesundheitsvorsorge seit den 1930er Jahren in aller Öffentlichkeit propagierten. Huxley war 1931 auch Gründungsmitglied der Denkfabrik Political and Economic Planning, die unter anderem erheblichen Einfluss auf die Gründung des National Health Service (1948) hatte. Er war zudem der Bruder des Schriftstellers Aldous Huxley, dessen dystopischer Roman Brave New World (Schöne neue Welt) von 1932 auch als eine Auseinandersetzung mit den eugenischen Ideen seines Bruders gelesen werden kann.

Die Wissenschaft kommt in der Agenda jener, die eine weltweite Kontrolle über das Leben der Menschen erlangen wollen, gemäß Lewis’ Analyse in einer doppelten Weise zum Einsatz. Der Anspruch der Wissenschaftlichkeit ist erstens das Mittel der Wahl, weil die Wissenschaft heute, nach Abdanken der Religion, mit den größten Heilsversprechen auftritt. Das Versprechen lautet: überlaßt es uns, die Zukunft zu gestalten und die dafür erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, und es wird euch besser gehen als jemals zuvor. Wir werden die Probleme von Hunger und Überbevölkerung lösen, die Umwelt vor der Zerstörung bewahren und alle Krankheiten ausrotten – ja schließlich den Tod selbst besiegen. Je größer die Angst der Menschen vor diesen Bedrohungen ist (die man natürlich auch bewußt schüren kann), umso bereitwilliger werden sie sich deshalb in die Hände jener begeben, die versprechen, sie von ihnen zu befreien.

In einer wissenschaftsgläubigen Zeit (das Motto der Fridays for Future-Bewegung lautet nicht umsonst „Follow the science“) ist der Verweis auf die Wissenschaftlichkeit einer Maßnahme somit die einfachste Weise, Menschen zur Akzeptanz dieser Maßnahme zu bewegen, und damit zugleich die sicherste Methode, sie dazu zu bringen, sich in ihren angestammten Freiheitsrechten einschränken zu lassen: „Ein Hungriger denkt an Essen, nicht an Freiheit. Wir müssen […] die Behauptung ernst nehmen, daß nur die Wissenschaft, und zwar eine weltweit angewandte Wissenschaft und damit eine noch nie dagewesene behördliche Überwachung, der gesamten Menschheit volle Mägen und medizinische Versorgung bringen kann. Kurz gesagt, nur ein Welt-Wohlfahrtsstaat. Gerade weil ich mir dieser Tatsachen bewußt bin, sehe ich die ungeheure Gefahr, in der die Menschheit gegenwärtig schwebt“ (141).

Nach Lewis’ Ansicht ist diese Situation – auf der einen Seite enorme Probleme globalen Ausmaßes („Hunger, Krankheiten und die Angst vor einem Krieg“, 141) und auf der anderen Seite das Versprechen, ihnen durch eine weltweit agierende, staatsübergreifende Technokratie wirksam entgegentreten zu können – die ideale Voraussetzung für eine Versklavung der Menschheit. Es ist der alte Handel, der schon in der Antike Menschen dazu brachte, sich als Sklaven zu verkaufen (oder, im Mittelalter, sich den Forderungen der Kirche zu unterwerfen): Freiheit gegen Brot, gegen Sicherheit, gegen Rettung vor der Hölle.

Der Punkt ist jedoch nicht, daß der Einsatz wissenschaftlich geplanter globaler Strategien zwangsläufig in einer Versklavung der Menschheit enden muß (Lewis bestreitet dies), sondern daß jene, die eine solche Versklavung anstreben, sie unter den gegebenen Bedingungen auf jeden Fall im Gewand wissenschaftlicher Planung präsentieren werden:

„Jeder Tyrann muß mit der Behauptung beginnen, das zu haben, wovor seine Opfer Respekt haben, und ihnen zu geben, was sie wollen. In den meisten modernen Ländern respektiert die Mehrheit die Wissenschaft und möchte, daß die Dinge nach Plan laufen. Daher wird quasi per definitionem jede Person oder Gruppe, die uns versklaven will, [… ihr Programm] als eine ‚wissenschaftlich geplante Demokratie‘ präsentieren.“[2]

Daß Lewis nicht der Einzige war, der zu dieser Zeit einen globalen Überwachungsstaat als eine reale Gefahr betrachtete, belegt der 1948 erschienene Roman Nineteen Eighty-Four seines Schriftsteller-Kollegen George Orwell.

Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, was die Menschen, in deren Hand wir uns begeben, dann mit uns tun werden. Ihr philanthropisches Versprechen lautet, die von ihnen durchgeführten Maßnahmen würden zum Wohl aller geschehen. Haben wir Grund, daran zu zweifeln, daß dies tatsächlich der Fall sein wird?

Laut Lewis gibt es hier mehr als genug Grund zur Sorge. Denn zweitens ist für diejenigen, in deren Hand wir uns begeben, die Wissenschaft das Mittel der Wahl, weil es ihrem reduktionistischen (und somit anthropologisch defizitären) Menschenbild entspricht. Der Mensch, so hatte Lewis schon 1943 in The Abolition of Man (dt. Die Abschaffung des Menschen) erklärt, ist für diese Wissenschaftler ein reines Naturwesen, das heißt eine hoch komplexe, aber grundsätzlich technisch beherrschbare Maschine.[3] Freiheit und Würde, individuelles Glück, die Beziehung zu Gott und anderen Menschen – all dies sind aus der Perspektive dieser Wissenschaftler bloße Phantasien: es sind evolutionär nützliche, aber rein illusionäre Vorstellungen, die in einer wissenschaftlichen Betrachtung des Menschen keine Rolle spielen (und insofern auch nicht handlungsleitend sein können).

Die Mitglieder des N.I.C.E. arbeiten deshalb bereits 1945 an einer Überwindung der Grenzen zwischen Mensch und Maschine. Die Methoden, die Lewis in seinem Roman beschreibt, unterscheiden sich – dem damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechend – von den heutigen, doch das Ziel ist exakt dasselbe wie das der heutigen Transhumanisten. Der Mensch, wie wir ihn bisher kennen, soll verschwinden; zunächst durch Verbindung mit technischen Elementen, dann aber, indem wir die gesamte biologische Natur des Menschen hinter uns lassen. Der „Kopf“ des N.I.C.E. ist tatsächlich nicht mehr als ein durch Maschinen am Leben erhaltener Schädel, dessen Decke man entfernt hat, um dem künstlich vergrößerten Gehirn mehr Platz zu verschaffen. Filostrato, der wissenschaftliche Schöpfer dieser Kreatur, träumt offen davon (nicht anders als heute der AI-Pionier und Transhumanist Ray Kurzweil), die Menschheit ganz von ihrer organischen Basis zu befreien und damit unsterblich zu machen.[4]

Wie dieser Übergang vom Menschen zur Maschine aussieht, das entscheiden natürlich nicht jene, an denen die betreffenden Maßnahmen durchgeführt werden, sondern jene, die sie durchführen. Lewis erklärt deshalb bereits in The Abolition of Man, es sei ein fataler Irrtum, zu meinen, die Macht über die Natur, die in der heutigen wissenschaftlichen Forschung gewonnen wird, komme allen Menschen gleichermaßen zugute. „Der Mensch nimmt sein Schicksal selbst in die Hand“ – das klingt großartig. In Wahrheit bedeutet es jedoch, daß einige wenige, die über die Macht und die technischen Fertigkeiten verfügen, das Schicksal der übrigen Menschheit in die Hand nehmen (142).[5] Gibt uns das, was wir über sie wissen, Anlaß, ihnen zu vertrauen, daß das, was sie mit uns machen, in unserem Sinn sein wird?

Der Roman That Hideous Strength ist eine negative Utopie, er beansprucht nicht, historische Realität zu sein. Doch bereits 1943 warnt Lewis in The Abolition of Man, das Programm einer Unterwerfung der Menschheit mit wissenschaftlichen Methoden sei mehr als eine bloße Phantasie: es führe, sofern wir nicht rechtzeitig gegensteuern, in „die Welt des Nachmenschlichen [heute würde man sagen: des Transhumanen], die gegenwärtig, teils wissentlich, teils unwissentlich, fast alle Menschen aller Nationen herzustellen bemüht sind.“[6] Wie steht es heute mit dieser Warnung: War sie völlig unbegründet? Gibt es hier also gar keinen Anlaß zur Sorge?
Zumindest ist zu konstatieren, daß die Ideen von Transhumanismus und globaler Überwachung, die nicht zuletzt von den Mitgliedern und Organisatoren des Weltwirtschaftsforums geäußert werden, sich in gefährlicher Nähe zu jenen Ideen bewegen, vor denen Lewis vor mehr als 70 Jahren warnte. Wie ernst sind sie zu nehmen, wenn sie von den mächtigsten und einflußreichsten Personen auf dem Globus geäußert werden? Und diese Leute, ob nun Wissenschaftler oder Finanzinvestoren, nehmen auch bereits seit Jahrzehnten politisch Einfluß, ob nun über ihr Programm der Young Global Leaders oder über eigens zu diesem Zweck gegründete Nichtregierungsorganisationen. Kann es sein, daß das, was wir gerade erleben, eine weitere Phase in einem Programm politischer Einflußnahme ist, das letztlich zu einer wissenschaftlich geplanten Kontrolle über die gesamte Menschheit führen soll, und damit zu einer globalen Technokratie? Es gibt Grund genug, wachsam zu sein.

[1] C. S. Lewis, That Hideous Strength. A Modern Fairy-Tale for Grown-Ups, HarperCollinsPublishers (Voyager Series), London 2000, 12; Übersetzung N.F.

[2] C. S. Lewis, „Eine Replik auf Professor Haldane“, 368f.

[3] Vgl. C. S. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, übertragen von Martha Gisi, Johannes Verlag, Einsiedeln, 4. Aufl. 1993, 62-64, 73-74.

[4] Für Lewis’ prophetische Kritik am Transhumanismus und Kurzweils Ideen siehe auch Ulrich Kriehn, „Unterwegs zum neuen Menschen. C. S. Lewis, Teilhard de Chardin und die transhumanistischen Konzepte“, in: M. Rieger, T. Kinzel und Ch. Fackelmann (Hg.), Lepanto Almanach. Jahrbuch für christliche Literatur und Geistesgeschichte Bd. 3, Rückersdorf üb. Nürnberg 2022, 180-195, bes. 183188.

[5] Vgl. C. S. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 61f.

[6] Ebd., 77. Auf die Begründung für diese These kann hier nicht ausführlich eingegangen werden, es sei aber darauf verwiesen, dass Lewis’ Analysen von Denkern wie Robert Spaemann, Joseph Ratzinger, Hans Jonas und Jürgen Habermas geteilt werden, vgl. Norbert Feinendegen, Apostel der Sketiker. C. S. Lewis als christlicher Denker der Moderne, Text & Dialog Verlag, Dresden 2015, 70-84.

 

Dr. Norbert Feinendegen, Jahrgang 1968, studierte Philosophie und Theologie und promovierte 2007 in Theologie über C. S. Lewis („Denk-Weg zu Christus. C. S. Lewis als kritischer Denker der Moderne“). Feinendegen ist freier Autor und Referent in der Erwachsenenbildung sowie Übersetzer und Mitherausgeber von Schriften von C. S. Lewis. Siehe auch: https://www.lepanto-verlag.de/durchblicke-auf-c.-s.-lewis.-glauben-kultur

 

Abbildung: pexels.com

 

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