Durchblicke auf C. S. Lewis. Glauben, Kultur, Literatur – und was der große englische Autor dem 21. Jahrhundert zu sagen hat

LOGBUCH XXI (13. September 2021). Von Till Kinzel

 

Das Werk von C. S. Lewis (1898–1963) ist so vielseitig und vielgestaltig, daß es schwerfällt, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Und viele Lewis-Leser haben daher oft nur den einen Teil seines Werkes zur Kenntnis genommen, ohne von dem anderen viel zu wissen oder zu ahnen. Doch gerade die Tatsache, daß Lewis sowohl jungen wie alten Liebhabern phantastischer Geschichten und philosophisch oder theologisch interessierten Lesern viel zu bieten hat, macht eine Auswahl von Texten spannend, wie sie Norbert Feinendegen mit dem jüngst erschienen Band Durchblicke vorgelegt hat.

Denn auch diejenigen, die sich (bisher) nur für einen Teil seines Werkes interessieren, können hier die Gelegenheit nutzen, nun auch Querverbindungen aufzuspüren, die sich zwischen den Schaffensgebieten von Lewis ergeben mögen. Zwar liegen diese nicht immer auf der Hand, aber oft sind sie doch erhellend. Schließlich erweist sich Lewis außerdem auch für all jene von größter Bedeutung, die Literaturwissenschaft an und für sich für ein wertvolles Unternehmen halten, aber mit den Moden des Postmodernismus, der Dekonstruktion und anderen „theoretischen“ Ansätzen im Gefolge von Psychoanalyse, Marxismus, Feminismus, Gender und Postkolonialismus aus guten Gründen unzufrieden und unglücklich sind.

Feinendegen, Autor einer substantiellen philosophisch-theologischen Studie über Lewis (Apostel der Skeptiker, 2015), sortiert die Texte, die allesamt aus der späteren christlichen Phase des Schaffens von Lewis stammen, nicht chronologisch, sondern thematisch: Im I. Teil sind es zwanzig Texte, die philosophisch-theologische Durchblicke bieten, dann folgen, II., geistesgeschichtliche Durchblicke und, III., literaturwissenschaftliche Durchblicke mit jeweils neun Texten, also insgesamt eine stattliche Zahl. Die Wahl des Titels ist glücklich, denn mit seinen Schriften zielt Lewis tatsächlich darauf, den Lesern Durchblicke zu ermöglichen, die immer auch eine orientierende Funktion haben. Denn die Durchblicke werfen das Denken aus den gewohnten Bahnen und bieten überraschende Einsichten – ob es nun um die Rolle des Schmerzes in der religiösen Weltsicht, die mittelalterlichen Weltbilder, die Nutzung der Allegorie als literarische Form oder um die Bedeutung der Science-Fiction geht.

Allesamt wurden diese Texte von Feinendegen erstmals ins Deutsche übertragen, bieten also für deutschsprachige Lewis-Leser wirklich etwas Neues. Den möglichen Einwand, solche Texte eines vor Jahrzehnten verstorbenen Literaturgelehrten könnten uns heute wirklich nichts mehr sagen, weist Feinendegen jedoch entschieden zurück. Und das mit gutem Grund. Denn Lewis hat uns selbst da noch etwas zu sagen, wo sich heutige Forschungsrichtungen mit ganz anderen Erkenntnisinteressen durchgesetzt haben. Es ist die zupackende Art und Weise, mit der sich Lewis einem literaturwissenschaftlichen, philosophischen oder theologischen Problem nähert, die deutlich macht, daß es stets um mehr als nur ein fachwissenschaftliches Problem geht. Lewis hat immer „Gott, Mensch und Welt“ im Blick – und weil er mit einem großen Wissen um die Tradition an die ihn interessierenden Fragen herangeht, können seine Texte auch nicht so stark veralten, wie es mit Analysen zu geschehen pflegt, die zu stark den aktuellen Moden folgen.

Der Schwerpunkt der Anthologie liegt deutlich auf dem Gebiet von Philosophie und Theologie, was auch den Interessen der meisten Lewis-Leser hierzulande entsprechen dürfte, soweit sie nicht nur Narnia-Fans sind – obwohl auch dagegen natürlich nicht das Geringste einzuwenden wäre. Doch ist es besonders erfreulich, daß Feinendegen auch jenen Teil des Werkes berücksichtigt, der schließlich die Kernkompetenz des Oxbridge-Professors ausmachte, nämlich die Literaturwissenschaft. Diese Seite von Lewis, obwohl sie seinen eigentlichen Beruf betrifft, wurde außerhalb der Anglistik kaum je zur Kenntnis genommen wurde – und selbst dort heute nur noch sehr am Rande, nachdem sich das Interesse der kulturwissenschaftlich geprägten Philologien immer weniger auf Fragen der literarischen Ästhetik richtet. Denn auch dort, wo man sich von Berufs wegen mit der Literatur, ihren Formen und Inhalten beschäftigen sollte, verliert die „Lust am Text“ (Roland Barthes) heute vielfach an Raum.

Lewis scheut nicht vor der Frage zurück, was Dichtung sei. Er glaubt mitnichten, sie sei bloß der Ausdruck der Persönlichkeit oder der Gefühle des Autors, so daß man vom Text in die Biographie ausweichen sollte. Nicht der Dichter selbst, sondern das, was er uns zeigen will, sollte aber das vorrangige Interesse beanspruchen, findet er. Lewis entwickelt auch ein überraschend positives Verhältnis zur Science-Fiction, woran vielleicht auch heute anzuknüpfen wäre. Denn es käme darauf an, nicht zuletzt auch das kulturkritische Potential dieser Schreibform auszureizen. Es finden sich bei Lewis Reflexionen über die Aussageweise von Märchen sowie die Weisen, wie man für Kinder schreiben kann. Er betätigt sich aber auch selbst als Literaturkritiker, wenn er über die Werke Der Hobbit und Der Herr der Ringe spricht, die sein „Inklings“-Freund J. R. R. Tolkien verfaßt hat. Es verwundert nicht, daß Lewis früh klar den besonderen Charakter des großen Romans erkannt und daher recht mit seiner Prognose behalten sollte, Der Herr der Ringe werde bald – ebenso wie der Hobbit – den Status eines Klassikers erreichen. Tolkiens Schöpfung einer unverwechselbaren fiktionalen Welt findet seine besondere Anerkennung – und bisher jedenfalls hat Lewis recht behalten, erfreuen sich doch Tolkiens Erzählungen noch immer großer Beliebtheit und stellen einen der wichtigsten literarischen Zugänge zu etwas Mythischem in der heutigen Zeit dar.

Literarische Beispiele sind aber auch dort anzutreffen, wo sich Lewis mit theologischen oder geistesgeschichtlichen Themen befaßt – so überrascht es nicht, wenn er in einem Text über den Unterschied von Protestantismus und Katholizismus seinen Ausgangspunkt von Edmund Spensers Epos The Faerie Queene nimmt und der Frage nachgeht, worin eigentlich das Besondere des allegorischen Schreibens bestehe und ob es in einem Zusammenhang zu konfessionellen Denkweisen stehe.

Fazit: Norbert Feinendegen, gegenwärtig unstreitig einer der besten Kenner des Werkes von C. S. Lewis, ist ein zuverlässiger Wegweiser, dem alle Lewis-Leser für diese Zusammenstellung von Texten in deutscher Sprache großen Dank wissen werden. Aber auch diejenigen, die sonst die Lektüre der Originaltexte vorziehen, profitieren von dieser gelungenen Anthologie, denn in genau dieser Kombination gibt es diese Essays auch in englischer Sprache nicht. Der schöne Band macht vor allem eines: Lust auf Lewis, und zwar auf den ganzen Lewis, dessen reichhaltiges Werk sich von verschiedenen Seiten erobern und aneignen läßt, weil es so vielgestaltig und faszinierend ist, daß im besten Sinne des Wortes „für jeden etwas dabei“ sein dürfte.

 

C. S. Lewis: Durchblicke. Texte zu Fragen über Glauben, Kultur und Literatur. Deutsche Erstveröffentlichung von Essays, Vorträgen, Briefauszügen und Passagen aus dem Werk von C. S. Lewis. Ausgewählt, zusammengestellt und übersetzt von Norbert Feinendegen. Basel: Fontis, 2019; 399 Seiten, Abb., ISBN 978-3-03848-168-3, EUR 18.00

Norbert Feinendegen: Denk-Weg zu Christus. C. S. Lewis als kritischer Denker der Moderne. bzw. in neuerer Fassung: Apostel der Skeptiker. C. S. Lewis als christlicher Denker der Moderne. Leipzig 2015.

 

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