Wie C. S. Lewis von Gott überrascht wurde – ein neues Buch von Norbert Feinendegen

LOGBUCH XLIX (5. Juli 2023). Von Till Kinzel


Der Literaturwissenschaftler Clive Staples Lewis (1898–1963) ist über das 20. Jahrhundert hinaus eine Ausnahmegestalt. Denn nicht nur und nicht einmal so sehr in seinem eigenen Fachgebiet ist er heute noch präsent. Vielmehr beruht die Weltgeltung Lewis’ auf zwei Wirkungsfeldern jenseits der engeren Fachgrenzen. Sie beruht erstens auf seinen literarischen Werken, die im Bereich der Phantastik angesiedelt sind und von denen die berühmtesten die fiktive Welt Narnias zum Gegenstand haben. Zweitens beruht Lewis’ Weltgeltung auf dem, was man als seine Populartheologie bezeichnen könnte, auf der intensiven Auseinandersetzung mit theologischen und philosophischen Fragen aus der Sicht des Christentums.

Eben dieser Teil von Lewis’ Werk steht im Mittelpunkt des vorzüglichen neuen Buches von Norbert Feinendegen, der unstreitig zu den besten Kennern von C. S. Lewis gehört. Feinendegens Dissertation von 2007 unter dem Titel Denk-Weg zu Christus gehört zu den bahnbrechenden Büchern über den englischen Schriftsteller, weil dieser hier vor dem Hintergrund der philosophischen Gesamtsituation seiner Zeit als kritischer Denker der Moderne vorgestellt wurde. Feinendegen konnte zeigen, daß Lewis es verdient, philosophisch ernst genommen zu werden – ein Ergebnis, das übrigens auch von den Bänden der Paderborner Pieper-Lewis-Tagungen bestätigt wird, die von Thomas Möllenbeck und Berthold Wald herausgegeben wurden.

Wenn nun Feinendegen vor dem Hintergrund seiner exzellenten Lewis-Kenntnisse herausarbeitet, wie sich der englische Literaturwissenschaftler und Schriftsteller als homo religiosus entwickelte, entsteht ein faszinierendes Bild. Und zwar deshalb, weil Feinendegen akribisch und empathisch nachzeichnet, wie Lewis zunächst seinen Glauben verlor, während er noch zur Schule ging, bevor er dann später schrittweise erst zum Theismus kam und schließlich auch zur konkreten Bejahung von Jesus Christus gelangen konnte.

Feinendegen verfolgt präzise die Grunderfahrung des „joy“ (der Freude), die sich für Lewis mit einer Sehnsucht nach der Sehnsucht verbindet. Das mag paradox klingen, aber es bezieht sich auf die Einsicht, daß, um es etwas platt zu sagen, die Bedürfnisstruktur des Menschen eben nicht so einfach ist. Man will nicht nur etwas haben oder erleben, sondern es muß etwas sein, das in sich selbst das Verlangen nährt, über das Erlebnis hinaus auch die Sehnsucht nach genau diesem Erlebnis zu erfahren.

Spannend ist auch Folgendes: Feinendegen kann die Illustration von Arthur Rackham zum Ring des Nibelungen Richard Wagners identifizieren, die Lewis in einer Buchanzeige sah und die ihm jene Erfahrung der Freude vermittelte, die ihn dann zunächst zu einem intensiver Leser aller erreichbaren Werke zur nordischen Mythologie machte – sowie zu einem großen Fan der Opern Richard Wagners. Auch Lewis’ durchwachsene Schulerfahrungen trugen zu seiner Persönlichkeitsentwicklung bei, weil z. B. seine Abneigung gegen Sport und seine Unwilligkeit zu Smalltalk es ihm nicht möglich machte, sich innerhalb der seltsamen Hierarchien wohlzufühlen, die in englischen Schulen der Zeit herrschten. Er fühlte sich dort wenig integriert. Darin unterschied er sich durchaus von seinem Bruder, der zuvor teils dieselben Schulen besucht, sie aber ganz anders erlebt hatte.

Bei einem Lehrer namens W. T. Kirkpatrick, der ebenso zum Smalltalk unfähig war, erhielt Lewis aber eine rigorose Einübung in das logische Denken, das zunächst auch seinen Atheismus verstärkte. Denn hier lernte er, in der modernen Theologie ein einziges Rückzugsgefecht zu sehen, die jede für das moderne Bewußtsein anstößige Idee als symbolisch verkaufte und bei jedem weiteren Fortschritt der naturwissenschaftlichen Weltsicht bereitwillig das Terrain aufgab, welches zuvor für die Religion reklamiert worden war. Alles, was man zuvor für religiöse Tatsachen gehalten hatte, wurde nun in den Bereich des bloß Poetischen und Mythischen abgeschoben.

Lewis lernte an Kirkpatricks Schule aber auch eine Methode der Beschäftigung mit Kunst und Literatur, die gegenüber dem Vergleich skeptisch war und die Individualität des jeweiligen Kunstwerkes in den Blick zu nehmen versuchte. Nur so könne man ihm nämlich gerecht werden. Und im Umkehrschluß galt dies auch für andere Menschen. Das bedeutete nichts anderes, als daß man bereit sein mußte, das Bild, das man sich von einem Kunstwerk oder Menschen gemacht hatte, auch wieder zu verwerfen oder zu revidieren – letztlich weitete Lewis diese Sicht auch auf das Bild oder die Bilder aus, die man sich von Gott macht.

Lewis beginnt, sein Taschengeld für Bücher auszugeben, entwickelt seine Liebe zur romantischen Dichtung, liest aber von den griechischen und lateinischen Klassikern ausgehend auch die großen Epen der englischen Literatur von Edmund Spenser und Milton, mit denen er sich später beruflich immer wieder beschäftigen sollte. Man kann jene Jahre auch als die Zeit ansehen, in der Lewis die Schönheit in mannigfaltigen Manifestationen zu erkennen lernte, ob nun in der Literatur oder einfach in der Landschaft. Doch trotz des intensiven Studiums der nordischen Mythologie etwa in der Edda fühlte sich Lewis spirituell gewissermaßen ausgetrocknet – denn er vermißte das Gefühl des „joy“, jener spezifischen Freude, die stets eine Sehnsucht einschließt.

Lewis macht nun in den 1920er Jahren verschiedene Erfahrungen, die sich in Feinendegens Darstellung zu vier Schachzügen Gottes zusammenfügen – Schachzüge, die Lewis dazu bringen, seine bisherigen Ansichten zu revidieren und den Atheismus hinter sich zu lassen. Lewis selbst hatte seine Wandlung vor allem in Surprised by Joy (1955) nacherzählt, aber Feinendegen analysiert auf der vorhandenen Quellenlage genauer, wie die Schachzüge aufeinander folgten. Auch kommt den persönlichen Beziehungen in Lewis’ Leben eine große Bedeutung zu. Nachdem seine akademische Karriere den Weg von der Philosophie zur Anglistik eingeschlagen hatte, ergaben sich neue Kontakte, etwa zu dem berühmten Schriftsteller J. R. R. Tolkien, aber auch zu dem weniger bekannten Henry Victor „Hugo“ Dyson, ebenfalls ein Anglist, der für Lewis’ Konversion noch wichtig werden sollte. Die langjährige Freundschaft und intensive Gespräche im Freundeskreis brachten eine Horizonterweiterung. Wenn Lewis auch weiterhin Philosophie lehrte, verlagerte sich doch der Schwerpunkt seiner Lehr- und Forschungstätigkeit immer mehr auf die Literaturwissenschaft, in der er auch als enorm erfolgreicher Redner in seinen Vorlesungen glänzte. Während seine Anfänge als Philosophiedozent nur ein sehr schwaches Echo bei den Studenten gefunden hatten, stellte sich nun ein nicht unerheblicher Ruhm ein, der es später wiederum ermöglichte, daß Lewis sich auch eine Rolle als öffentlicher Intellektueller aufbaute. Diese Rolle konnte er dann auch zur Diskussion und Verbreitung seiner religiösen Ansichten nutzen.

Zunächst aber intensivierte sich auch die Auseinandersetzung Lewis’ mit seinem Freund Owen Barfield, der zum Anthroposophen geworden war, ein Weg, der für Lewis selbst nicht in Frage kam. Barfield hatte aber einen sehr großen Einfluß auf die Sprachphilosophie von Lewis, und zwar durch sein Buch Poetic Diction, das sich mit der dichterischen Sprache befaßt. Hier fand sich eine Sicht auf die Sprache, die dem Dichterischen gegenüber offen war und zugleich auf die präzise Bedeutung der Worte achtete – all das ist von fortdauernder Aktualität für alle, die sich um die Sprache sorgen.

Lewis’ Denk- und Glaubensweg verläuft über sechs Stadien. Am Anfang steht ein materialistischer Atheismus, demzufolge es nichts gibt, das man Gott oder Seele nennen könnte. Wahrheit und Schönheit erscheinen lediglich als subjektive Vorstellungen. Es folgt dann ein atheistischer Realismus, bei dem zwar weiterhin Gott und Seele abgelehnt werden, aber doch die Existenz von Logik, Ethik und Ästhetik als rational erscheint, da der menschliche Geist zwar zur Einsicht in deren Prinzipien fähig sei, dieser Geist selbst aber mit dem Tod des Gehirns vergehe. An dritter Stelle vertritt Lewis im Übergang zu einem Theismus einen Pantheismus, den er selbst mit einem sogenannten Absoluten Idealismus identifizierte. Es gebe zwar einen göttlichen Geist, doch habe dieser keinen personalen Charakter. Auch als viertes Stadium der religiösen Entwicklung verbleibt Lewis noch im Rahmen eines Pantheismus, der nun aber mit einem subjektiven Idealismus verbunden wird. Das bedeutet, daß unser Geist, wenn er denkt, im Grunde nur vollzieht, was ein göttlicher Geist in uns vollzieht. Es folgt nun als fünftes Stadium der Schritt zu einem Theismus, also einer Vorstellung von Gott, die schon personalen Charakter hat. Dieser Gott ist einerseits transzendent, also außerweltlich, andererseits aber teilweise auch in der Welt, nur ist er eben kein Gott, der selbst Mensch geworden ist. Im Rahmen dieses Theismus gilt für Lewis, daß es auch kein ewiges Leben und keine Auferstehung gibt. Erst mit dem sechsten Stadium akzeptiert Lewis die konkrete Form Gottes, der in Gestalt von Jesus Christus Mensch geworden ist und durch den Umstand, daß er die Sünden der Menschen auf sich genommen hat, eine neue Beziehung der Menschen zu Gott möglich macht. Während Lewis den Theismus bereits im Sommer 1930 für sich akzeptierte, brauchte er bis zum Herbst des folgenden Jahres, um schließlich das Christentum als wahr anzuerkennen, eine Haltung, der er dann sein gesamtes weiteres Leben treu bleiben sollte.

Erst mit diesem Schritt in der folgerichtigen religiösen Entwicklung, die zunächst so gar nicht seinen philosophischen Grundannahmen entsprach und auch nicht von vornherein seinen Wünschen entgegenkam, wurde Lewis auch zu einem bedeutenden christlichen Schriftsteller, der es zu einer ungeahnten Popularität bringen sollte, die auch im 21. Jahrhundert noch andauert. In der letzten Phase seiner Entwicklung, die Feinendegen in seinem Buch konzentriert und einfühlsam nachzeichnet, macht Lewis den entscheidenden Schritt von einem Theisten zur Anerkennung eines personalen Gottes, der diese eine konkrete Person Jesus Christus ist.

Feinendegens wunderbares Buch über den Glaubensweg des britischen Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers gehört unstreitig zu den besten, die je über C. S. Lewis geschrieben wurden. Es ist tiefgründig, klar und überzeugend – und wird das Interesse an dem so vielseitigen Autor gewiß beflügeln. Das Buch dürfte auch zahlreiche Leser finden, die im Durchgang durch Lewis’ Glaubensweg ihre eigenen weltanschaulichen Vorannahmen und Überzeugungen gründlich auf den Prüfstand stellen werden, um sich schließlich wie Lewis von Gott überraschen zu lassen.

Norbert Feinendegen: C. S. Lewis: Überrascht von Gott. Wie der große christliche Denker zum Glauben fand. Basel: Fontis 2023. 304 Seiten, 19,90 Euro.

 

Abbildung: pixabay.com

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