Petrus has left the building – Ein kurzer Kommentar zur Elberfelder Bibel mit Erklärungen

LOGBUCH XLII (13. März 2023). Von Michael Rieger


So manche Erniedrigung der Sprache mußten wir zuletzt über uns ergehen lassen (und müssen es jeden Tag). Um nur ein Beispiel zu nennen: Vor kurzem traf ich auf die „Abgeordnetinnen und Abgeordneten im Bundestag“. Der daraufhin angeschriebene Redakteur – immerhin einer Zeitschrift zur internationalen Politik – hat sich dann auch tatsächlich entschuldigt. Aber es ist eine ganz natürliche Entwicklung, daß sich aus den schiefen Vorüberlegungen der geschlechterbezogenen Gerechtigkeit bzw. Ausgeglichenheit in der Sprache ein noch schieferes System ergibt, das sich aus jener Unwissenheit speist, die erst einmal gelernt sein will.

Doch den Vogel hat nun ausgerechnet die ehrenwerte Elberfelder Bibel abgeschossen. So muß man es wohl sagen, auch wenn das Problem nicht auf der Ebene des geistfreien Genderns liegt. Die Elberfelder Bibel ist im allgemeinen Bewußtsein verankert als jene deutsche Bibelübersetzung bzw. Bibelübertragung, die sehr viel auf ihre Präzision hält. Und das eigentlich auch zu Recht, zumindest bis 1985/86. Die nachfolgenden Ausgaben fielen bereits durch eigenwillige Entscheidungen auf. Da wurde aus den „Wassern“, über denen der Geist schwebt, dann schnell das „Wasser“ – nun ja, ein Singular statt eines Plurals, keine große Sache. Doch folgte der Hinweis, daß „Wasser“ im Hebräischen stets im Plural stehe, „so wie im Deutschen z. B. das Wort ‚Ferien‘.“ Ach. Danke für diesen modernistischen Hinweis. Aber müßte man denn nicht gerade dann im Plural bleiben, sofern man textgetreu übersetzen will …?

Nun gut. Dies war noch kein Zeichen der Anpassung an die Welt der Gewerkschaften und der SPD, an die GEW und die Grünen. Und es ist schon eine Weile her. Aber 2021 hat die Elberfelder Bibel mit Erklärungen den Textstand 32 erreicht (SCM Brockhaus, Witten & Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg), also jene 32. Textfassung einer steten, behutsamen, wohlüberlegten Revision der Übersetzung. Der Originaltext ist, wie er ist, aber es ist nun eine Fassung „mit Erklärungen“ hinzugekommen, und dieselbe ist beeindruckend in ihrer Dichte und Klarheit. Das ist nicht ironisch gemeint. Man kann die in den Text eingelassenen, vom Text schön abgesetzten Kommentare und Erklärungen nur mit größtem Gewinn lesen. Wäre dort nicht … ja, leider … wäre dort nicht diese eine Stelle, die das ganze System in Frage stellt. Der Teufel steckt nicht im Text der Übersetzung, sondern im Text der Erklärung. Ich zitiere die Erklärung zur Apostelgeschichte 1,15 (hier S. 1605): „In Erfüllung der Prophetie Jesu (Mt 16,19) tritt Petrus als Teamleiter seiner Jünger auf und koordiniert die Ersatzwahl in den Apostelkreis“.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Petrus ist also der „Teamleiter seiner Jünger“, was die Jünger zu einem „Team“ werden läßt. Es tut mir leid, aber – wenn eine Bibelübersetzung sich darum bemüht, möglichst exakt aus dem Original zu übersetzen, sollte sich dann nicht der Erklärungsteil darum bemühen, möglichst exakt und präzise seiner Aufgabe nachzukommen? Stattdessen wird hier modisch herumgespielt, wird ein Anglizismus ins Spiel gebracht, der völlig überflüssig ist und nur dem Zeitgeist huldigt, nicht aber dem Geist des Textes. Denn: Wenn Petrus der „Teamleiter“ ist, dann sind die anderen Jünger „Teamplayer“… oder gar „Buddies“? Wo ist denn hier der Ansatz einer möglichst exakten Übersetzung und Kommentierung geblieben? Wozu ist er verkommen? Zu einem weiteren Mosaikstein jener täglichen Unsäglichkeit der deutschen Sprachpraxis. Jede weitere Spekulation ist verlorene Mühe.

Es erscheinen in unseren Tagen seriöse Bibeln (und ja, wieder ohne jede Ironie: welche Übersetzungsarbeit steckt darin! – welche Wissenschaftlichkeit und Mühe!), in denen allen Ernstes Petrus als „Teamleiter“ präsentiert wird, wie beim Spiegel oder beim nächsten Architektenbüro. So müssen wir uns also nicht Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, sondern Petrus als Motivationskünstler, als höheren Angestellten, als jenen Macher, der in jedem landläufigen Büro ein „Briefing“ für seine Jünger abhält, bevor er zum nächsten „Zoom“ gerufen wird. Auf einen solchen Stein wird man nicht viel bauen können. Wenn Sprache die Welt so verhunzt, dann ziehe ich eine Elberfelder Bibel ohne Erklärungen vor.

 

Abbildung: pixabay.com

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder.

Ich habe die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis genommen.