Peter Kreeft: "Jesus hat nichts erklärt, außer sich selbst."

Unser Autor Peter Kreeft hat mit seinem im Lepanto-Verlag kürzlich erschienenen Dialogband "Sokrates trifft Sarte" schon viele Leser in Deutschland fasziniert. Die Suche nach Gott ist für immer mehr Menschen - Kirchenaustritte hin, Kirchenaustritte her - das zentrale Thema. Wir haben jetzt im "The Cathlic World Report" ein Interview gefunden, das wir den Freunden des Lepanto-Verlages nicht vorenthalten wollen und deshalb in einer Übersetzung vorstellen. Kreeft erklärt uns darin nicht nur, wie wir am Strand zu Gott finden können. Er beschreibt den großen Spannungsbogen zwischen Glauben und Wissen. Was glauben Sie? Warum fasziniert uns das Meer so sehr?
Kreeft: Der Grund dafür, dass das Meer uns in besonderem Maße fasziniert, ist so geheimnisvoll wie das Meer selbst. Seine Größe natürlich, beschreibt die ontologische Größe Gottes. Die Luft allerdings - der Himmel über dem Meer - ist noch größer, ruft aber nicht dasselbe Erstaunen in uns hervor. Alles in allem kann man dieses Erstaunen nicht auf eine klare, rationale Erklärung reduzieren. "Deine Fluten rauschen daher" (Psalm 42:7) - das Meer der Wellen draußen erweckt das Meer des Staunens in uns. Teilerklärungen sind jedoch sinnvoll. Allgemein gesagt ist der Grund für unsere Faszination das, was die Irokesen "Orenda" nennen. Ein spiritueller Magnetismus oder eine Elektrizität in Dingen, die uns anzieht und uns einen lähmenden Schock verpasst, der uns den Atem nimmt. Es ist die Geheimzutat, die der Schöpfer in die Meere, Bäume, Sterne und Musik legte. Genauer gesagt kombiniert das Meer die Größe, das ewige Leben und die paradoxe Gegenüberstellung von Friedlichkeit und Ungestümheit, die wir in unseren eigenen Seelen erkennen, wenn wir tief genug in uns eintauchen.
Sie haben über die Vitalität geschrieben, die uns der  Strand durch scheinbar langweilige Dinge verleiht. Das endlose Wogen der Wellen, lange Abschnitte mit Sand, etc. Was denken Sie sagt uns das über Gott?
Kreeft: Ich habe ADHS und bin sehr schnell gelangweilt. Trotzdem sind für mich Wellen unendlich faszinierend. Warum? Die Irokesen hatten ein Wort dafür. "Orenda". Es bezeichnet die spirituelle magnetische Kraft den menschlichen Geist aus sich selbst zu ziehen. Eine Kraft so ähnlich wie das "Te" des Tao für einen Taoisten oder das "Chi" im Thai Chi. Man findet es speziell in den Bergen, Ozeanen und Wäldern. Wie das funktioniert ist mir selbst genauso rätselhaft wie viele andere Dinge im Leben. Einschließlich der Frage, warum Gott das Gesicht eines Vogelstraußes so gemacht hat wie es aussieht. Ich erinnere mich an ein Zitat von Woody Allen aus einem seiner neuesten Filme. Sein Sohn hat den jüdischen Glauben seiner Familie abgelehnt und wurde zum Atheist.  Seine Frau gibt ihm die Schuld, weil er die Frage seines Sohnes nach dem Bösen nicht beantworten kann. Sie sagt ihm: "Er möchte wissen: Wenn es einen Gott gibt? Warum gibt es dann Nazis?" Woody antwortet daraufhin: "Warum gibt es Nazis? Woher soll ich wissen, warum es Nazis gibt? Ich weiß ja noch nicht einmal wie der verdammte Dosenöffner funktioniert." Im Film "Herr der Ringe" sagt Meriadoc zu Pippin: "Manchmal ist es besser, es nicht zu wissen." G.K. Chesterton, während einer USA-Reise nachts den Broadway entlangfahrend, wurde gefragt, was er über eben diesen denke. Er bemerkte sowohl die Schönheit der Neon-Lichter, als auch die Albernheit der Werbeschilder und antwortete: "Es ist das erste Mal, dass ich mir wünsche ein Kind zu sein, das noch nicht lesen kann." Genau so können wir am Strand sein.
Sie haben auch darüber geschrieben, dass das Meer in einer besonderen Weise unser Verständnis von Gott vertieft und beziehen sich auf eine mittelalterliche Kosmologie, die besagt, dass ein tieferes Verständnis von Gott, dem Schöpfer, eben nur durch seine Schöpfungen zu erreichen ist. In diesem Licht betrachtet, wie interpretieren Sie das Meer als Zeichen Gottes?
Kreeft: Der mittelalterliche Geist in seiner Essenz ist einfach der menschliche Geist. Die Natur und besonders spezielle Dinge in ihrer Schöpfung, wie etwa das Meer oder die Sterne, als Zeichen des Schöpfers zu sehen ist genauso natürlich wie ein Kunstwerk als Ausdruck der Seele eines Künstlers zu betrachten. Im Mittelalter glaubte man für gewöhnlich, dass "Gott zwei Bücher schrieb, Natur und Bibel." Beide sind Rätsel. Wunderschön, geheimnisvoll und fehlerlos. Die Natur legt Gottes Gedanken und Geist offen, die Bibel sein Herz und seinen Willen.
Sie deuten an, dass die Menschen ihre Fähigkeit verloren haben, zwischen Fakten und Zeichen zu unterscheiden. Wie verstehen Sie diese beiden Begriffe? Glauben Sie, dass diese Fähigkeit zurückerworben werden könnte?
Kreeft: Die Fähigkeit, Zeichen der Natur lesen zu können hat sich zurück entwickelt, während sich die Fähigkeit die Zeichen der Kunst zu entschlüsseln  weiter entfaltet. So ähnlich verhält es sich auch bei meinen Studenten. Ihre Fähigkeit einfache, natürliche, umgangssprachliche Logik - Aristotelische Logik - anzuwenden, die in ihrer Basis auf natürliche Zeichen und Konzepte gründet, entwickelt sich zurück. Proportional zu ihrer Fähigkeit, künstlerische, mathematische Logik anzuwenden, die in willkürlichen Thesen fußt. Es zählen Benehmen und Genauigkeit anstelle von Menschlichkeit und Sterblichkeit. Deswegen können sie auch keine Analogien mehr verstehen. Im SAT-Test (Zulassungstest für amerikanische Hochschulen) musste sie komplette Sektion über Analogien entfernt werden, denn selbst Harvard-Genies fielen durch. Diese Tatsache ist wichtiger als es scheint, denn die ganze Schöpfung besteht aus Analogien, Ähnlichkeiten, Vergleichen oder Metaphern des Schöpfers. Wir verstehen sie mit unserer rechten Gehirnhälfte, der Intuition. Nicht mit der linken Hälfte, die für die digitale Analyse zuständig ist. Die analoge Hälfte aber verkümmert, während die digitale unaufhörlich arbeitet. Es gibt keinen Weg das Lesen der Zeichen zu unterrichten. Man fängt Kunst einfach ein, so wie einen Baseball oder auch die Masern. Lesen Sie Black Elk, St. Bonaventure oder C.S. Lewis.
Als Philosoph bringen Sie auch die Frage nach Glück und Zufriedenheit zur Diskussion. Auf welche Weise kann uns ungezähmte Natur das Glück verschaffen, das uns ein Computer niemals geben könnte?
Kreeft: Alle Erklärungen, alle "Wies" und "Warums", sind wie Hypothesen in der Wissenschaft: Sie erklären Daten und müssen wiederum von Daten überprüft und bestätigt werden, ob sie die Daten gut erklären.  Je tiefer man sich mit den Daten beschäftigt, desto bessere Hypothesen kann man aufstellen. Je mehr man also durch Erfahrung lernt, wie die Natur uns glücklich macht, desto weniger Unsinn kommt dabei heraus, wenn man versucht sie zu erklären. Die, die am tiefsten in dieses Glück eingetaucht sind, sprechen darüber am wenigsten. Der klassische Fall ist Laozis "Daodejing" mit seinen berühmten Anfangsworten: "Die Art es auszusprechen ist nicht die wirkliche Art." Ein leises Lächeln kann mehr sagen als Schulbücher über Musik, Romantik oder Natur: "Poems are made by fools like me, but only God can make a tree." (Vers aus Joyce Kilmers Gedicht Trees: "Gedichte werden von Narren wie mir gemacht, aber nur Gott kann einen Baum machen.") Die Wie-Frage ist nur in der Technik wichtig: Das griechische Wort "Techne" bedeutet "Wissen", was allerdings bloß ablenkt. Wer weiß denn schon wie göttliche Gnade funktioniert? Wer kümmert sich darum, außer professionelle Theologen? Es funktioniert einfach. Jesus hat nichts erklärt, außer sich selbst. Er bot alles an, besonders sich selbst. Er hat Essen verteilt, keine Kochbücher. Jemand hat mal gesagt: "Das Leben ist kein Rätsel, das man lösen soll, sondern ein Mysterium, das man erleben muss." Diese Wahrheit ist für mich als professionellen Philosoph hart zu schlucken, aber sie ist eben wahr.
Hatten sie auch ähnliche Gedanken über andere Elemente der Natur, wie zum Beispiel "Bruder Sonne und Schwester Mond", wie der heilige Franz von Assisi sie nannte, die Berge, tobende Stürme oder das Universum? Offenbaren sie ebenso Gott?
Kreeft: Franz von Assisi wird uns allen im Himmel, wenn es dort "einen neuen Himmel und eine neue Erde" (Offenbarung 21:1)  gibt, lehren alle neuen Kreaturen zu lieben und sie zu preisen, sogar die Mücken. Betrachten Sie eine unter dem Mikroskop und erkennen Sie ihre wundervolle Feinheit. Aber Gott sandte uns Franz von Assisi auf die Erde, um uns auf die Ewigkeit vorzubereiten. Wenn wir also wirklich die Sonne und den Mond als "Bruder Sonne und Schwester Mond" sähen, würde es uns 24 Stunden am Tag beschäftigen und uns verändern. Nicht nur, wenn wir mal Campen gehen. Wir würden uns zuhause fühlen, wie kleine Kinder in der großen schönen Villa unseres Vaters, überhäuft mit Geschenken und Überraschungen. Das ist unsere Aufgabe im Realismus, denn genauso ist die Welt in Wirklichkeit, genauso sind wir in Wirklichkeit und genau das ist es, was Gott in Wirklichkeit ist.

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