Homo Deus – Selbstvergottung und transhumanistische Nebenfolgen

LOGBUCH XXXVIII (16. Januar 2023). Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz


Schöne neue Welt?

Wir stehen heute in der Brandung des „Fortschritts“, uns selbst konstruieren zu können. Transhumanismus setzt auf die Mechanik des Körpers, die sich nachbauen, mehr noch: verbessern, steigern, ja ersetzen läßt. Der Wunsch nach „übermenschlichem Dasein“ tastet sich in die Möglichkeit hinein, die körperlichen und reflexiven Grenzen des Menschen technologisch zu weiten, sie sogar zu sprengen – in unbekanntes Neuland des Könnens und Machens einzutreten. Utopien im Sinne des totalen Selbstentwurfs setzen sich zunehmend durch.
Brave New World (Schöne neue Welt) war der Titel der 1932 erschienenen Dystopie, die schon damals das Schreckbild einer künftigen, rein biologistisch verfaßten und manipulierten Menschheit vorführte: Diese soll industriell fabriziert und kollektiv erzogen werden. Verfasser des Werkes war Aldous Huxley (1894–1963), dessen älterer Bruder, der Biologe Julian Huxley (1887–1975), dann offen von „Transhumanismus“ sprach: von nicht-staatlichen, individuell übernommenen eugenischen Programmen zur Aufbesserung der Nachkommenschaft.[1] Dieses Bio-Engineering ist Arbeitsweise und Ziel des Homo faber; die vater- und mutterlose Gesellschaft ist seine Schmiede.
Wege dahin sind heute bereits gebahnt. Dem kalifornischen Mathematiker und Ingenieur Ray Kurzweil schwebt der Einbau von Nanocomputern in den menschlichen Körper vor – diese können beständig neu programmiert werden. Seine „fortschrittliche“ Frage lautet: „Braucht die Zukunft noch den (bisherigen) Menschen?“ Nein, denn: „Die natürliche Auslese schuf den Menschen der Mensch erschuf die Technik, Mensch und Technik arbeiten nun zusammen an der nächsten technologischen Generation. In der Singularität wird zwischen Mensch und Technik keine Trennung mehr bestehen – nicht weil Menschen zu Maschinen werden, sondern weil Maschinen wie Menschen (und noch viel mehr) werden.“[2]
Statt langwieriger natürlicher Evolution also ein technischer Riesensprung zur „Optimierung“ des Menschen. Dabei werden die Grenzen zwischen Fleisch und Plastik, Körper und Computer verwischt. Aber auch: Die Grenzen zwischen Autonomie und Fremdsteuerung werden durchlässig. Die Lebenswelt ist damit auf dem gefährlichen Weg zur „Überwindung“ des Menschseins, mittlerweile auch des gegebenen Geschlechts. „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“, so der Titel eines sonst mäßig gelungenen Bestsellers. Die Botschaft lautet: Das Ich ist nur eine Momentaufnahme im Fluß weiterer Entfaltungen.

Utopien der Selbstschöpfung seit der Renaissance

Solche Botschaften haben tiefe Wurzeln, eine davon ist die neuzeitlich-technische Umgestaltung, ja visionäre Neuerschaffung von Welt und Mensch. Tatsächlich faßt die europäische Neuzeit schon seit der Renaissance die Natur als eine Art mechanischer Werkstatt auf. Adam fühlt sich zum Allherrscher ernannt, der die Mitgeschöpfe als anonymes Gegenüber sieht, als Hohlraum seines Austobens, als „Vorwurf“ und „Widerstand“ (die wörtliche Übersetzung von „Ob-jekt“), den es zu brechen gilt – so die berühmte Rede „Über die Würde des Menschen“ 1486 von Pico della Mirandola. Francis Bacon, einer der Väter der neuzeitlichen Physik, erklärte, man müsse die Natur auf die Folterbank legen, um ihr die Geheimnisse abzupressen; Kant verwendet ähnlich in der Kritik der reinen Vernunft das Bild der Richterin Vernunft, die die Natur unter Anklage stellt. Der Forscher müsse mit Theorien „in einer Hand, und mit dem Experiment […] in der anderen, an die Natur gehen [… im Sinne] eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt.“[3] 1748 erschien das berühmte Buch L’Homme machine (Die Mensch-Maschine) von La Mettrie – und daß Tiere ohnehin nur Maschinen seien, hatte bereits Descartes behauptet. E. T. A. Hoffmann entwarf (in der Erzählung „Der Sandmann“) mit der Puppe Coppelia den Automatenmenschen; einzig ihr starres Auge, eigentlich der Sitz des Gemüts, verrät die seelenlose Hülle. Im 19. Jahrhundert betrachtete eine atheistisch eingefärbte Medizin – im Sog der Aufklärung – Leibvorgänge als bloße Maschinenreaktionen. Auch seelische Empfindungen, die Liebe eingeschlossen, wurden als steuerbar-mechanische Abläufe gedeutet. Eine solche Selbstreduktion degradiert den menschlichen Leib zum Körper – dinghaft und möglicherweise unbelebt.

Transhumaner Maschinen-Körper

Das Mensch-Maschinen-Modell findet mit der Digitaltechnik weiter ausgreifende, ungeheure Verwirklichungen. Vom Designer-Kind zum Mischwesen aus Mensch und Roboter reichen die Wunschvorstellungen. „Enhancement“, Leistungssteigerung durch Pillen, ist längst bekannt, aber könnte man nicht ebenso das Gedächtnis steigern durch eingebaute Chips, das Bewußtsein auf externe Festplatten laden, die Muskelkraft hochtreiben durch elektronisch gesteuerte Prothesen, durch genetische Veränderungen? Muß es überhaupt beim vergänglichen menschlichen Fleisch bleiben, ließen sich nicht die Organe nach und nach durch haltbare Materialien ersetzen? Es geht nicht mehr nur darum, durch digitale Medien menschliches Leben zu erleichtern, sondern durch digitale Implantate den Körper zum „Cyborg“ (cybernetic organism) umzumodeln. Ab wann wird dann der eigene Körper zum Roboter?
Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Der Körper wird zunächst genetisch und technisch optimiert und dann gezielt mit Bewußtseinsinhalten „aufgeladen“ – mit der Utopie, damit auch Anlagen zum Bösen, zu unerwünschtem asozialem Verhalten nämlich, vorher zu selektieren. Oder: Gleich mit Robotern zu arbeiten, die ebenfalls mit Bewußtsein „aufgeladen“ werden: „Ich sehe diese Maschinen als unsere Nachkommen. […] Und wir werden unsere neuen Roboterkinder gern haben, denn sie werden angenehmer sein als Menschen. Man muß ja nicht all die negativen menschlichen Eigenschaften, die es seit der Steinzeit gibt, in diese Maschinen einbauen. […] Diese Dinge kann man einfach weglassen – genauso wie den Wesenszug der Menschen, daß sie ihr Leben auf Kosten anderer sichern wollen. Ein Roboter hat das alles nicht. Er ist ein reines Geschöpf unserer Kultur und sein Erfolg hängt davon ab, wie diese Kultur sich weiterentwickelt. Er wird sich also sehr viel besser eingliedern, als viele Menschen das tun. […] Wir werden sie als Kinder annehmen – als Kinder, die nicht durch unsere Gene geprägt sind, sondern die wir mit unseren Händen und mit unserem Geist gebaut haben.“[4]

Dagegen: „Fleisch als Angelpunkt“

Der Philosoph Hans Jonas (1903–1993) kennzeichnete treffend den Umschlag der menschlichen Macht über die Natur in ein Übermächtigtwerden, ja, in Ohnmacht gegenüber den eigenen Produkten. Anschaulich wird der „Verlust der Kontrolle über sich selbst, welcher die Unfähigkeit bedeutet, nicht nur den Menschen vor sich selbst, sondern auch die Natur vor dem Menschen zu schützen“.[5] Was also ist der Mensch? Jedenfalls mehr als Körper: „Ein Mensch ist immer zugleich Leib […] und hat diesen Leib als Körper.“[6]
Das deutsche Wort „Leib“ verbindet genial schon in der Wortwurzel Leben und Liebe. Leib ist immer schon beseelter Leib, ureigene Lebendigkeit; „leibhaft“ ist lebenskräftig und liebesfähig. Der Schlüssel zur Erfahrung von Welt und Mensch ist daher ausdrücklich das Fleisch, die sinnliche, geschichtliche Fleischwerdung eines jeden. Caro cardo: Das Fleisch ist der Angelpunkt des Daseins. Im Neuen Testament wird Fleisch zum Angelpunkt der Erlösung: Ho logos sarx egeneto (Joh 1,14: „Das Wort wurde Fleisch“). Sarx ist Fleisch, das zum Logos quersteht, ja, unvereinbar mit ihm ist und ihn niederzieht, sogar dem Tod die Flanke öffnet – und doch hat der Logos sich mit ihm unbegreiflich verbunden. So stirbt der Sohn, Logos vor aller Zeit und vor aller Schöpfung, in der Passion des Fleisches. Aber als er aufersteht nach drei Tagen, behält er das Fleisch, wie alle Evangelien berichten, und behält es in Ewigkeit. Der Leib ist – durch den Tod hindurch – der Verwandlung ins Zeitfreie fähig. Damit ist dem Fleisch der Charakter des Vergänglichen genommen. „Er hat Fleisch durch Fleisch befreit.“[7]
Das ist nicht die „Unsterblichkeit“ einer Maschine, die sich des Fleisches entledigen muß, um zu bestehen. Es geht im Christentum auch nicht um Unsterblichkeit nur der Seele, es geht um ein neues Dasein in einer neuen, sinnlichen Welt. Die Herrschaft des Unwirklichen, einer leiblosen Identität ist kein Ziel. Anstelle des Endes kommt die Voll-Endung. Der Leib wird zum Lieblingsweg der Gnade.
Vor all dem verblaßt das Hochladen eines gescannten Gehirns in einen Roboter. Unsterblichkeit, die auf den Leib verzichtet? Im Verzicht auf den Leib verzichtet sie geradezu ausdrücklich auf Leben und Liebe, die der Leib einschließt. Transhumanismus bedeutet Dekarnation, Entfleischlichung. Die Kultur braucht umgekehrt das Denken einer Inkarnation, einer wirklichen, endlichen, nicht erträumten, nicht künstlich ersetzten Fleischwerdung des Menschen, die den Leib auch durch den unabweislichen Tod hindurch mitnimmt und verwandelt, aber nicht entleiblicht. Wer löst dem biblischen Wort (wieder einmal) die Zunge, um diese Einsichten ins Licht zu heben und um die Pseudo-Vergöttlichungen des Menschen in der Maschinentechnik zu überwinden durch das lebendige Leben?

[1] Julian Huxley: Essays of a Humanist (1964) (Neuauflage: Evolutionary Humanism, 1992); dt.: Ich sehe den künftigen Menschen: Natur und neuer Humanismus, 1965.
[2] Ray Kurzweil: The Singularity is Near. When Humans Transcend Biology, 2005; dt.: Menschheit 2.0. Die Singularität naht, Berlin 2014, 41.
[3] Vorrede 2. Aufl. KrV, Kants Werke 3. Bd., Frankfurt a. M. 1977, 22.
[4] Hans Moravec: Computer übernehmen die Macht. Vom Siegeszug der künstlichen Intelligenz, Hamburg 1999, 136.
[5] Hans Jonas: Prinzip Verantwortung, Frankfurt a. M. 1979, 253f. Ähnlich Jürgen Habermas: Die Zukunft der menschlichen Natur. Frankfurt a. M. 2001, mit eindringlichen Warnungen vor der Macht des Menschen über die kommenden Generationen, welche den in der Aufklärung gewonnenen „Selbstzweck“ jedes Menschen außer Kraft setze.
[6] Helmuth Plessner: Lachen und Weinen (1941), in: ders.: Philosophische Anthropologie, Frankfurt a. M. 1970, 43.
[7] Caecilius Sedulius (geb. ca. 450, Italien), Hymnus „A solis ortus cardine“, in: Andreas Schwerd (Hg.): Hymnen und Sequenzen, München 1954, 38: „carne carnem liberans“.

 

Prof. em. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz war bis 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der TU Dresden, seitdem ist sie Vorstand des Europäischen Instituts für Philosophie und Religion (EUPHRat) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz; ihr umfassendes publizistisches und editorisches Wirken wurde mehrfach preisgekrönt, zuletzt 2021 mit dem Joseph-Ratzinger-Preis.

 

Abbildung: pixabay.com

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