Der Mensch – „ein Entwurf auf etwas Ungeheures hin“: Zum Pilotband der neuen Guardini-Reihe

LOGBUCH LXXXI (24. November 2025). Von Gudrun Trausmuth

 

Zwei Philosophen, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Philosophisch-Theologische Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz) und Michael Wladika (Internationales Theologisches Institut in Trumau), legten in der ersten Jahreshälfte 2025 den Pilotband der neuen Reihe „Guardini-Studien“ im Herder-Verlag vor. Das ambitionierte akademische Projekt der Katholischen Hochschule Trumau soll in zwei Bänden pro Jahr Perspektiven auf Guardinis Werk eröffnen und die Aktualität des 1885 in Verona geborenen und 1968 in München verstorbenen Theologen Romano Guardini deutlich machen. Reihen-Herausgeber Dekan Michael Wladika betont, daß die neue Buchreihe einen „Jahrhundertdenker“ für die Gegenwart erschließen wolle, sowohl in akademischer als auch in kulturorientierter Hinsicht.

Im Pilotband Der Mensch – „ein Entwurf auf etwas Ungeheures hin“. Romano Guardinis Blick auf Christliche Anthropologie legt Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz die kühnen Voraussetzungen des anthropologischen Denkens Guardinis frei: „Grundlegend gilt für ihn, daß der Mensch nicht ‚fertig‘ ist, vielmehr in einem Werden ‚auf hin‘ zu denken ist: auf eine Voll-Endung hin, wie sie das Neue Testament entwirft.“ Zugleich sei die „Mit-Wirkung“ des Menschen an seiner eigenen Voll-Gestalt, „wie sie größer nicht gedacht werden kann – bis zur Angleichung an Christus“, gefordert.

Im Gespräch mit der Rezensentin über den Pilotband der „Guardini-Studien“ betont Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz weiter den „ungeheuren Entwurf“, den Guardini im Menschen sieht: „Er rückt ihn wirklich in die Nähe des göttlichen Ursprungs; von daher ist der Fall des Menschen so groß. Und heute fehlt ihm die ‚Macht über die Macht‘ seines eigenen Tuns, vor allem verknechtet ihn die Technik.“ – Guardinis Anthropologie, so Gerl-Falkovitz, sei geprägt von den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit der planmäßigen Menschenvernichtung. Die Wurzeln der vernichtenden Gefährdung sehe Guardini aber schon im 15. Jahrhundert, wo der Mensch beginne, sich selbst zum Objekt zu werden. In seinem Buch Das Ende der Neuzeit (1950) führe Guardini dafür drei Kennzeichen bedrohlicher Art aus: die Autonomie der technisierten Natur (versus Schöpfung), die Autonomie des Menschen (versus Gott), die Autonomie der Kultur (ohne Religion).

Harald Seubert (Theologische Hochschule Basel) arbeitet in seinem Beitrag eine Nähe von Romano Guardini und Martin Heidegger hinsichtlich ihrer kritischen Bestimmung des Wesens der Technik heraus. So sei die rein funktionale Nutzung der Naturkräfte für das Werk des Menschen problematisch; es folgten „andere geistige Vollzüge, die zur Unwahrheit tendieren: Eingeschränkt werden der offene Blick der Weltanschauung, die Fähigkeit zur Transzendenz, die Selbstwahrnehmung des Menschen“. Gegenüber einer die Welt und den Menschen umfassenden ordo amoris gewännen „Es-Mächte“ die Überhand über das menschliche Tun und störten die personale Beziehung zum göttlichen Ursprung.

Guardini sei ein Denker aus den Quellen des Abendlandes, bestätigt Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Spezifisch äußere sich das darin, daß er sich auf Platon beziehe, sodann stehe er in der Tradition von Augustinus, Bonaventura, Pascal und Newman. „Seine Analysen gehen ja von Hölderlin bis Freud und Kafka“, so die Religionsphilosophin. „Guardini hat die Spätmoderne im Blick – und er liebt sie nicht.“ Vielmehr seien Platon und der Evangelist Johannes Guardinis Grundlagen.

Michael Wladika bestätigt in seinem Aufsatz, daß Platon für Guardini der entscheidende vorchristliche Autor war. Bei Guardini stehe Platons Sokrates „gerade für die Selbst-Verpflichtung zu einer öffentlich wirksamen, für die Polis verbindlichen Lebensführung“, orientiert an der Wahrheit. Genau dieses Über-Individuelle sehe Guardini auch als Korrektur der „isoliert-individuell verstandenen Freiheit der Moderne“.

„Angerufensein“ ist für Guardini die tiefste Bestimmung des Menschen, aus der heraus er zur Antwort befähigt ist: „zum Sprechen mit der Welt, mit anderen Menschen, mit sich selbst und mit Gott“, betont Philemon Dollinger in seinem Beitrag „Das Wort als Begleiter des Menschen“. Der Dialog gehöre wesenhaft zum Menschen. Sprache als solche präsentiere sich als Ergebnis eines geistigen Vorgangs vom Erkennen und Bewerten bis zum Sich-Entschließen. Dabei stehe bei Guardini alle Einsicht unter dem Maßstab der Wahrheit, was dem menschlichen Sprechen eine einzigartige Bedeutung gebe: „Es gibt keine wortlosen Gedanken. Der Mensch lebt, indem er redet.“

Ganz unmittelbar einsichtig wird Guardinis Aktualität etwa auch in Albrecht Voigts bioethisch orientiertem Beitrag „Unverfügbarkeit des Menschen. Anthropologische Orientierungen mit Romano Guardini“, wo die „Werde-Gestalt“ des Menschen, wie sie sich in den verschiedenen Stadien seines Daseins zeigt, im Mittelpunkt steht, mit Schwerpunkt auf das besonders angefochtene Stadium von der Zeugung bis zur Geburt.

Guardinis „Philosophie und Theologie des Herzens“ stellt Domenico Burzo im Pilotband der „Guardini-Studien“ dar – in faszinierender Zusammenschau mit dem russischen Theologen, Mathematiker und Religionsphilosophen Pavel Florenskij (1882–1937). Das „Herz“ wird als besonderes Erkenntnisorgan begriffen, zwischen Intellekt und Sinnlichkeit – hier tut sich eine Traditionslinie von Augustinus, Dante, Pascal und Scheler hin zu Guardini auf. Durch Guardini werde anthropologisches Fragen durch das Erkenntnisorgan des Herzens um einen „neuen, noch unausgeschöpften Erkenntnisweg erweitert“, resümiert Burzo.

Bernhard Dolna nimmt mit den „Theologischen Briefen an einen Freund“ auf den späten Guardini Bezug: „Nur in Öffnung auf den Schöpfer hin wird die dunkle, mächtige, verschlossene ‚Erde‘ von sich selbst gelöst.“ Gott sei „für den späten Guardini Lösung aus dem verzehrend Endlichen.“ Aus dem Ringen mit der Angst vor der Endlichkeit entdeckt sich die Person „als von ihrem Schöpfer ins Leben gerufen – und zwar – durch die Todespforte hindurch – zu einem erlösten, unvergänglichen Leben. […] Solches Trauen, solche Treue hält dem Abgrund der Schwermut stand, dem Sog nach unten.“

Der Pilotband der „Guardini-Studien“ motiviert in hohem Maße, wenngleich – was generell für das Format des Tagungsbandes gilt – eine tiefergehende Zusammenschau der Einzelbeiträge den Gewinn für den Leser noch einmal erhöhen würde. Doch auch in Gestalt von „Studien“ ist die Frucht dieser Auseinandersetzung mit der Anthropologie Guardinis enorm: so macht der Band etwa entscheidende Paradigmenwechsel deutlich und verortet heutige Phänomene philosophisch, theologisch und kulturgeschichtlich. Dazu kommt der Erkenntniswert, der in Guardinis Sprach- und Formulierungskunst liegt, die die Eigenheit hat, den Leser gleichsam „mitten ins Herz zu treffen“ – womit wir wieder beim Herz als Erkenntnisorgan wären …

Man darf sich auf die weiteren Bände der Guardini-Reihe freuen. So bereichert der gerade heute erscheinende Band Romano Guardini. Konturen des Lebens und Spuren des Denkens von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz die Auseinandersetzung mit Guardini gewiß um ein gleichermaßen sensibles wie lebendiges Porträt.

 

Der Mensch – „ein Entwurf auf etwas Ungeheures hin“. Romano Guardinis Blick auf Christliche Anthropologie. Hrsg. von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und Michael Wladika. Freiburg i. Br., Basel, Wien: Herder Verlag (= Guardini-Studien, Bd. 1).

 

Buchpräsentation mit Kardinal Christoph Schönborn, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Bernhard Dolna und Michael Wladika am Dienstag, 2. Dezember 2025, 19 Uhr, in der Buchhandlung Herder, Wollzeile 33, 1010 Wien (Anmeldung und Information: +43 1 512 14 13; buchhandlung@herder.at). - - Achtung: Die Buchpräsentation mußte aus technischen Gründen abgesagt werden! Sie soll Mitte Februar 2026 nachgeholt werden. Wir informieren darüber.

 

Abbildung: Guardini als junger Seminarist (Wikimedia Commons)

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