LOGBUCH LI (1. Oktober 2023). Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Wer sich Romano Guardini (17. Februar 1885 – 1. Oktober 1968) nähert, steht vor einem Gebirge. Das Werk eines 83-jährigen Lebens türmt sich auf, das in seiner geistigen Bildung noch ins 19. Jahrhundert hineinragt, in ein Gespräch mit dem großen Antipoden Nietzsche, aber auch mit Mörike und Hölderlin, mit Dostojewskij, Kierkegaard, John Henry Newman und sogar mit Wilhelm Raabe. Ebenso erscheinen im Werk die großen Entwicklungen und großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts; „antwortlose Fragen“ werden unter Anfechtungen der Schwermut, ja unter „geheimen Erdbeben“ verarbeitet. Doch ist dieses umfängliche Werk – die Bibliographie von 1978 verzeichnet (mit Übersetzungen und Nachdrucken) 1847 Einzeltitel – zwar gewaltig, aber keineswegs verzettelt oder unklar. Das Bedeutende kommt nicht im Gewand der Schwere und Verworrenheit, sondern als Mühe um Sachgerechtigkeit, bis in kleine Fragen hinein. Guardini hat in einem wundervollen, schmalen Aufsatz – wie so manches Wundervolle von ihm geringen Umfangs ist – über den „klassischen Geist“ notiert: „Es gibt eine Tiefe, die in der Undurchdringlichkeit ruht. Sie bedeutet, daß man nicht hinkann; daß etwas im Abgrund liegt, oder im Dunkel, oder auf unzugänglichen Höhen, oder im Wirbel. Sie besteht im Ungeheuren; in der Übersteigerung des Maßes; in der Überflutung der Grenzen. Es gibt aber auch eine andere Tiefe; jene, die in der Klarheit liegt, die klassische. Hier braucht nichts ‚gedeutet‘ zu werden. Da sind keine Falten, die einer Auseinanderlegung bedürften; keine Höhen, vor denen der Geist ohnmächtig stünde; keine Abgründe, in denen er versänke. Kein Chaos bricht hervor und erfüllt mit seinem Schauer. Alles steht hell in deutlicher Gegenwart. Aber jede Linie ist von einer schwingenden Fülle gesättigt. Man kann über sie eigentlich nichts Besonderes sagen. Das, worum es sich handelt, liegt offen. Aber in dieser Klarheit ist alles.“
Solche staunenswerte Klarheit durchzieht Guardinis vielschichtiges Werk.
Vita
Am 17. Februar 1885 in einer italienischen Kaufmannsfamilie in Verona geboren, kommt der Einjährige nach Mainz – die bergende und beengende Stadt bis ins Mannesalter. 1903 beginnt ein vages Studium der Chemie und Volkswirtschaft, das sich erst 1905 in Berlin durch den Ruf zum Priestertum klärt; Freiburg und Tübingen werden die Stätten des aufwachenden Theologiestudenten. Nach Kaplansjahren in Worms, Darmstadt und Mainz promoviert Guardini 1915 in Freiburg über Bonaventura, veröffentlicht 1918 den ersten Klassiker Vom Geist der Liturgie. 1920 folgt die schicksalhafte Begegnung mit Burg Rothenfels am Main, wo er bis zur Enteignung durch die Nationalsozialisten 1939 Großartiges leistet: die Umformung der katholischen Jugendbewegung Quickborn in eine christliche Kulturbewegung. Nach der Habilitation 1922 in Bonn ergeht 1923 der Ruf an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) auf die neugeschaffene „Professur für katholische Weltanschauung und Religionsphilosophie“. Dort liest er mit unerwartetem Erfolg vor Hörern aller Disziplinen, auch vor vielen Agnostikern. Die großen Gestaltdeutungen von Sokrates und Buddha bis zu Rilke gewinnen Kontur. Victor von Weizsäcker notiert: „Guardini ist kein Theologe, er ist fast ein Märtyrer der geistigen Versuchung zu nennen. Immer muß er einen Ketzer an seine Brust drücken und mit ihm ringen […] Barth ist imposant, Wittig ist liebenswert, Guardini ist ergreifend.“ Die bahnbrechende Christologie Der Herr erscheint 1937.
1939 auf eigenen Wunsch aus der Universität entlassen, findet Guardini 1943–1945 Zuflucht bei seinem Freund Pfarrer Josef Weiger in Mooshausen im Allgäu; dort entstehen die berühmten Kulturkritiken: Der Heilbringer (1945), Das Ende der Neuzeit (1950) und Die Macht (1951). Diese neuen Themen liest Guardini, 1945 überraschend nach Tübingen berufen, wiederum vor vollem Hörsaal. 1948 folgt er der ehrenvollen Berufung nach München, wo er bis 1962 immer noch das Auditorium maximum füllt und in den Predigten in St. Ludwig die Nachkriegsgeneration sammelt. Eine qualvolle Trigeminus-Erkrankung bedrängt die letzten Lebensjahre. 1965 wird ihm ein Kardinalshut durch Paul VI. angeboten, den er nicht mehr annimmt. Guardini stirbt am 1. Oktober 1968 in München, im ominösen Jahr der Studentenrevolution. Die Freunde setzen auf den Totenzettel das ebenso große wie bescheidene Wort: „Diener des Herrn“. 1997 wurde Guardini umgebettet in die Münchner Universitätskirche St. Ludwig, die Stätte seiner ergreifenden Predigten. Seit 2017 läuft ein Seligsprechungsverfahren.
Ein Brennpunkt: Der Blick auf den Menschen
In den übervollen Berliner Jahren begann Guardini Vorlesungen über christliche Anthropologie, gesammelt in Welt und Person. Versuche zu einer christlichen Lehre vom Menschen (1939). Die „Vorbemerkung“ notiert: „Jedenfalls empfindet die Gegenwart den Menschen wieder als etwas Rätselhaftes. Noch vor nicht langem gab es auf die Frage nach dem Wesen des Menschen zwei maßgebende Antworten, die humanistisch-geisteswissenschaftliche und die naturwissenschaftlich-technische. Sie standen zueinander in vielfachem und scharfem Gegensatz, hatten aber eines gemeinsam: beide glaubten zu wissen, was der Mensch sei. […] Diese Meinung, den Menschen zu kennen – samt der daraus kommenden Sicherheit und der ebenfalls dadurch bedingten Enge in der Behandlung menschlicher Dinge – ist erschüttert. […] Der Mensch ist inne geworden, daß er anders sei, als er dachte, sich selbst unbekannt und zur Aufgabe gesetzt.“
Guardini hat diese Frage einem tiefreichenden Nachdenken unterzogen.
Die erste Teilnahme an der göttlichen Schöpfung: Begegnung mit Welt in Auge und Herz
Teilnahme hat bei Guardini einen zweifachen Sinn: zuerst als Teilnahme an dem, was schön ist nicht im ästhetischen Sinne, sondern was in seiner Ordnung steht, in seiner wahren, unverdeckten „Gestalt“. Guardini ist ein Meister des Sehenlernens. Er liebte das Wort Hans Carossas: „Sehen, was ist, ist eine ungeheure Gnade.“ Unabsichtliches Wahrnehmen läßt die Dinge, wie sie sind, nicht wie wir sie brauchen. Erst wenn die Augen zur „Anschauung“ aufgehen, vor allem Wollen und Verändern, geben sich die Dinge in Wahrheit. Guardini leitet lange vor den Anleihen bei asiatischen Kulturen zur absichtslosen Betrachtung an: „Die Tatkraft des Wollens und Handelns und Suchens mag noch so groß werden, sie muß auf einer Tiefe aufruhen, die stille ist […] Das ist die Gesinnung, die in der Ewigkeit wurzelt. Sie hat Friede. Sie hat jene innere Gelassenheit, die den Sieg über das Leben darstellt. Sie ist nicht in Hast, sie hat Zeit. Sie kann warten und wachsen lassen.“ Anders formuliert geht es um den „Vorrang des Logos vor dem Ethos“.
Ein so aufgetanes Auge darf nicht als passiv mißverstanden werden. Sehen ist nicht bloßes Echo, es ist Antwort, schaffendes, lebendiges Mitschwingen. Zum kostbaren Sein der Dinge tritt die noch kostbarere Begegnung zwischen Ding und Mensch, die schöpferische Teilnahme an Welt: „Die Welt ist nicht fertig. Und nicht nur deshalb, weil sie sich noch weiterentwickeln, dieses und jenes werden müßte. Es ist tiefer gemeint. ‚Die Welt‘ sind nicht die Dinge draußen für sich allein, sondern das, was in der Begegnung zwischen dem Menschen und ihnen wird. Wenn der Mensch die Dinge sieht und empfindet; wenn sie an ihn heran und in ihn hineinkommen; er wiederum in die Dinge dringt, in ihnen weilt und lebt – was da wird, ist erst die eigentliche Welt.“ Und nun fällt noch ein augustinischer Begriff – ergänzend zu den Augen tritt das Erkenntnisorgan des Herzens: „Gesehener Gegenstand [ist] vom Herzen gefühlte Form und von den Gestalten der Wirklichkeit aufgerufenes Gefühl. Ist Hand, die erst ganz sie selbst wird an der Frucht, die sie greift; Boden, der erst zum Acker wird, wenn der Mensch ihn pflügt und besät. […] Hierin besteht der Schöpferdienst, zu dem Gott den Menschen gerufen hat: daß immerfort, in seiner Begegnung mit den Dingen, die eigentliche Welt werde. Daß er selber erst werde, indem er an die Dinge gerät; schaut, versteht, liebt, an sich zieht und abwehrt, schafft und gestaltet. Daß die Dinge sie selbst erst ganz werden, wenn sie in den Bereich des Menschengeistes, seines Herzens und seiner Hand gelangen. Diese Welt wird immerfort; leuchtet auf und erlischt wieder.“
Für Guardini bedeutet die eine großartige, grundlegende Seite der Teilnahme an der Schöpfung: das Hin und Her des Blicks, das Hineinnehmen der geschaffenen Dinge in den Raum des Menschen. Das verdichtete Bild für solchen Raum ist das Herz, Ausdruck von Tun und Erleiden mitten im Schauen. Persönliches Mitschaffen an der Schöpfung geschieht schon durch die Art und Weise, wie der Mensch ihr begegnet.
Die andere Teilnahme an der göttlichen Schöpfung: Das Weltwerk und die Technik
Spannungsreich tritt dazu die Kraft der tatsächlichen Veränderung, des tätigen Gestaltens, kurz: das „Weltwerk“. Solches Werk ist dem Menschen seit seinem Ursprung aufgegeben: im Auftrag, sich die Erde „untertan zu machen“. Guardini sieht aber in der Neuzeit eine tiefgehende Gefährdung des Menschlichen gerade in der Maßlosigkeit des „Herrschaftswillens“, wie sie die zum Problem gewordene Technik anzeigt.
Seit den Briefen vom Comer See (1923–25) bis zu den Nachkriegswerken Das Ende der Neuzeit (1950) und Die Macht (1951) stellt Guardini die Frage nach den Gründen des Kulturzerfalls, der schon früh beobachteten Vernichtung des Lebensraumes, der seelischen Ortlosigkeit, der geistigen Barbarisierung. Tiefster geistiger Grund ist ihm die Selbstherrlichkeit der Neuzeit, die der Maschine und der Macht anheimgefallen sei.
Dennoch darf der Mensch, sofern er nun selbst vor dieser Macht erschrickt, nicht umgekehrt die Flucht antreten in eine romantisierte Natur, in das idealisiert Grüne. Es bedarf umgekehrt umso intensiver des neuen Blicks auf den Schöpfungsauftrag – gegen alles Heidentum des technischen Größenwahns ebenso wie gegen alles Heidentum denkfauler Naturvergötzung. Gerade im Bestehen der technischen Welt ist das Christentum ernsthaft gefordert. „Der Gläubige hat das Maß der ihm von Gott verliehenen Herrschaft bisher offenbar viel zu gering, die Größe, nein die Art seiner Verantwortung viel zu harmlos gedacht. Er hat sich das Ganze etwa unter dem Bilde eines gütigen Vaters vorgestellt, der seinem Sohne eine Stätte der Arbeit schafft und ihm Stoffe und Werkzeuge in die Hand gibt, damit er gute Dinge hervorbringe, während er selbst darüber wacht, daß alles in der rechten Ordnung bleibt. Dieser Sohn kann wohl das Werkzeug verderben, Material vergeuden, allerlei Unheil anrichten, aber nicht über gewisse Grenzen hinaus, weil ihm die Ordnung seines Daseins selbst entzogen bleibt. Das Bild traf auf einer Stufe der Geschichte zu, die man mit einem ungenauen Wort die organische nennen kann, als nämlich die Initiative des Menschen über gewisse, durch die unmittelbaren Gestalten der Natur gezogene Grenzen nicht hinausging. Jetzt aber trifft es nicht mehr zu, und es hat wenig Sinn zu sagen, das sei gefährlich. Gewiß ist es gefährlich; wir haben aber keinen Anlaß anzunehmen, der Auftrag Gottes beschränke sich auf ein ungefährliches Verhältnis zur Welt. Wir werden vielmehr aus der Wahrheit, daß Gott ein freies Geschöpf geschaffen und ihm die Welt in die Hand gegeben hat, weiter gehende Konsequenzen ziehen müssen als bisher, sowohl für den Ernst seiner Zumutung, wie auch für die Gefährlichkeit der dem Menschen anvertrauten Macht. Wir dürfen die Weltregierung Gottes nicht mehr als eine Behütungsordnung ansehen, in welcher der Mensch fromm und sicher existiert, sonst überlassen wir die Größe des menschlichen Daseins den Händen des Unglaubens, und das Glauben wird zu einer Sache der Furchtsamen. In Wahrheit gehört alle Größe Gott […] Es muß gezeigt werden, daß nur der Glaube fähig macht, in der Ungeheuerlichkeit der Macht wahr, ruhig und stark zu bleiben.“
Wie kann der Mensch mit der Macht tatsächlich schöpferisch umgehen?
Einsicht in die eigenen Grenzen
Daß der neue Mensch im Werden ist und Vorboten hat, ist Guardinis letztliche Überzeugung. Die mögliche Dämonie der Technik kann nur von tieferer Geistigkeit und einer neuen Kraft der Formung bewältigt werden. Nicht Technikkritik, sondern ein Standfassen im Werdenden ist das Gebot der Stunde. Dabei gelangt die menschliche Existenz „in die Nähe der absoluten Entscheidung und ihrer Konsequenzen […]; der höchsten Möglichkeiten wie der äußersten Gefahren“. Dazu zählt die langgewohnte Selbstherrlichkeit des Autonomiegedankens. Soll diese Verfehlung überwunden werden, bedarf es einer neuen, nach-neuzeitlichen Haltung.
Sie hat zu tun mit einer „offenen Haltung“. Das meint nichts Unbestimmt-Standpunktloses, sondern „Einsicht in die eigenen Grenzen“, die „Überwindung der Anmaßung und der engen Individualwelt“. Auch der Existentialismus der 1940er und 1950er Jahre irrt nach Guardini darin, daß er auf den Menschen als ausschließlichen Gegenstand des Nachdenkens abhebt. Stattdessen ist der Mensch auf sein Maß, freilich ein großes Maß, innerhalb einer Gesamtwirklichkeit zurückzubringen; er sollte auch ein Bewußtsein vom Kosmos mit umschließen. Dies bedeutet, die seit 500 Jahren eingeschliffene Ichverhaftung des Individuums aufzugeben, damit seine Setzung als Maß und Mitte der Welt, seinen Glauben an die Grenzenlosigkeit, sei es des Fortschritts oder der eigenen Macht oder eigener wie fremder Veränderbarkeit.
Was Guardini mit der Überlegung von der „offenen Haltung“ leistet, ist ein Hinweis auf das mögliche Bestehen der Zukunft. Er schlägt den Verzicht vor: erst im Verzicht auf eine seit langem eingeübte Unendlichkeit des Wollens (Unmäßigkeit) gelingt das Entscheidende, „die Sättigung des Endlichen mit Vollendung“. Hier erscheint ein bewegendes Ziel der guardinischen Anthropologie in seiner ganzen Helle: nicht allein der Wille zur ganzheitlichen Sicht, sondern die souveräne Neufassung beladener und belasteter Begriffe wie Grenze, Schranke, Endlichkeit, Zucht, Mitte, Maß. Aufgabe ist nicht das bloß keuchende Überleben, sondern das Gewinnen einer aufgerichteten, in sich klaren, maßbestimmten Identität. Dann stünde der Mensch in einer neuen Balance von Innen und Außen: von sich zur Welt, von der Welt zu sich, im schöpferischen Gegenüber.
Innen und Oben
Eine solche schwierige Balance ist sachgerecht allerdings nur einzunehmen, wenn die Haltung einem neuen Sich-Halten-Lassen entspricht. Statt der Selbstherrlichkeit des bloßen In-Sich-Stehens entfaltet Guardini einen Spannungsraum von innen nach oben. Der Mensch lebt nicht einfachhin aus sich, er lebt zugleich von „über sich herab“ und über sich hinaus. „Ich kann nicht sagen: die Brücke kann auf dem anderen Ufer aufruhen oder auch nicht, und doch immer Brücke bleiben. Das wäre ein Unsinn, denn nur darin ist sie Brücke, daß sie sich von diesem Ufer erhebt und auf dem drüben aufruht. So etwa ist zu verstehen, worum es sich hier handelt. Der Mensch ist Mensch nur in der Beziehung zu Gott. Das ‚Von-Gott-Her‘ und ‚Auf-Gott-Hin‘ begründet sein Wesen.“
Sachlich verknüpft sich damit der bereits ausgesprochene Gedanke von der tiefsten Bestimmung des Menschen, dem Angerufensein. Das Geschöpf ist Anruf. Und es ruft nicht einfachhin eine gestaltlose Ur-Macht, eine dumpfe, unbewußte All-Natur. Ein ungeheurer Wille schafft mich rufend, wie ich bin, selig, daß ich bin. In diesem Anruf bin ich nicht Kopie, Sklave, ersetzbar von Tausenden, sondern ich bin frei, einzig, „ins Eigensein freigegeben“. Dieser Wille ist die unerhörte Seligkeit, gewollt zu sein, wofür Guardini den Ausdruck „Gnade“ nimmt, als „Geschenk“, grundlos umsonst. „Diese Liebe hat aber keinen ‚Grund‘. Sie ist sich selbst Grund […] Wenn sie waltet, fragt der von ihr Gemeinte nicht mehr nach einem Warum – es sei denn, um Anlaß zum Dank und zur Wiederliebe zu haben“.
Das Ur-Geschenk an den Menschen ist „innige Selbstvergewisserung“ aus dem ersten, unvergänglichen, „währenden“ Anfang. Dieser „Anfang ist unerschöpflich“, endlos kraftvoll. Aus seiner Endlosigkeit stammt alles neue Beginnen, seine Kraft macht das Leben möglich.
Aber auch menschliche Verschließung ist möglich: Man kann sich zwar nicht gegen die Urtatsache wehren, gewollt zu sein – und doch wird eben das versucht, von jeder Person seit Adam. Warum das so ist, wie das sein kann, gehört in den unentschlüsselbaren Bereich der Sünde. Sie ist in ihrem Urbestand „empörte Endlichkeit“. Empörung gegen das Geschenktsein nämlich, Empörung gegen den Dank. Daraus aber dann die Preisgabe, das Verworfensein, die Angst. Guardini hat immer der Angst als „Grundexistential“ des Menschen widersprochen, wie es der Existentialismus als Urangst des „Geworfenseins“ behauptete: Angst ist ein Zweites, nach der Verweigerung des Geliebtseins nämlich, aber das Erste ist Geliebtsein und Wiederlieben. Vielmehr: „Liebe ist die Macht des Anfangs schlechthin.“
Alle Angst, aller Ärger an der Endlichkeit sind Ausdruck des verlorenen Ersten, das wir mit dem Wort „Paradies“ eher zudecken als erhellen. Von daher die Versuchung, das Paradies in die Zukunft hineinzuwerfen, das Versagte selber zu schaffen – womit die Macher-Ideologien gefährlich den Hintergrund der Zeit verdunkeln. So wird das Paradies durch „Ersatzversuche entehrt“. Nie ist der Mensch nur Natur, er steht in Geschichte: An ihm geschieht ein göttliches Wollen, und er kann diesem Geschehen zustimmen – oder nicht.
All das meint Spannung von innen nach oben: Seligkeit, Verlorenheit, Neubeginn, Voll-Endung aus einem „Übermaß an Wahrheit“, alles gleichsam über menschliche Kraft gehend. Heimisch werden in diesem Geheimnis und nicht in Ort und Zeit – das ist die nicht erstrebte und erdachte, sondern zugewiesene und schöpferische Wahrheit, die nach Guardini jeder Mensch zu bestehen hat.
Abbildung: Romano Guardini um 1920 (gemeinfreie Photographie)