„Alle, die in der Hölle sind, erwählen sie“. C. S. Lewis über die Möglichkeit ewiger Verdammnis

LOGBUCH LXXII (15. April 2025). Von Norbert Feinendegen

 

Es gibt wohl kaum einen Aspekt der christlichen Theologie, der heute weniger populär ist als die Lehre von der Hölle. Ist es nicht unerträglich, annehmen zu müssen, ein liebender Gott schließe einen Teil seiner Geschöpfe aufgrund ihrer temporären irdischen Verfehlungen von der Teilhabe an der ewigen himmlischen Herrlichkeit aus? Ist ein Gott, der den Gehorsam seiner Geschöpfe gegenüber seinen Geboten dadurch erzwingt, daß er ihnen bei Nichtbefolgung mit der ewigen Verdammnis droht, nicht ethisch völlig inakzeptabel?

Ein Autor, den solche Fragen lange davon abhielten, das Christentum anzuerkennen, war C. S. Lewis (1898–1963). Anglikanisch getauft und erzogen, hatte Lewis mit vierzehn Jahren den christlichen Glauben hinter sich gelassen und war Atheist geworden. Erst 1930 kehrte er zum Glauben an einen personalen Gott zurück, und wiederum ein Jahr später zum Glauben an Christus, und damit auch an die Existenz von Himmel und Hölle.[1] Da Lewis die Lehre von der Hölle selbst lange abgelehnt hatte, ist es interessant, zu verfolgen, warum er sie dann später doch für moralisch vertretbar hielt.[2]

Bevor Lewis 1925 in Oxford eine Stelle als Fellow für englische Literatur erhielt, verstand er sich in erster Linie als Philosoph mit Schwerpunkt Ethik. Er folgte dabei insofern Kant, als er seine Moralphilosophie als eine Gesinnungsethik entwarf, und dabei blieb er auch später als Christ. Entscheidend für die Moralität einer Handlung ist nicht ihr materielles Ergebnis, aber auch nicht die bloße Absicht, etwas zu tun: Es ist die Absicht, mit der man tut, was man tut, die eine Handlung als moralisch qualifiziert. Was aber macht die gute Absicht unserer Handlungen aus? Laut Lewis besteht das Entscheidende darin, daß die Wahl des Guten um seiner selbst willen erfolgen muß, nicht aufgrund von etwas, das man damit für sich selbst erreichen will.

Hält sich also jemand nur deshalb an Gottes Gebote, weil dieser die Macht hat, uns das ewige Leben zu schenken, so hat das für Lewis nichts mit Ethik zu tun: Echte Moralität verlangt eine völlig andere Art von Motiv für unser Handeln. Es geht nicht um das, was gut für mich ist, sondern um das, was an sich gut ist. Die Freiheit, in diesem Sinn ethisch zu handeln, schien dem jungen Lewis im christlichen Glauben nicht gegeben, da er das Tun des Menschen hier durch das Versprechen eines Lohnes im Jenseits oder durch die Drohung mit den Qualen der Hölle motiviert sah. Echte Freiheit muß mehr sein als die bloße Möglichkeit, zwischen vorgegebenen Alternativen zu wählen: Wir müssen in der Lage sein, uns zu den Wünschen und Impulsen, die wir in uns vorfinden, noch einmal zu verhalten und sie auf das von uns als gut Erkannte hin zu überschreiten. Ist das nicht der Fall – gründen die Motive für unser Handeln noch in etwas anderem als dem Entschluß, das unbedingt Gute zu tun –, ist wahre Freiheit unmöglich. Wir wären also fremdbestimmt und könnten letztlich nur entscheiden, welche Art von Fremdbestimmung wir wählen wollen.

Die Konsequenzen, die der christliche Lewis aus dieser Konzeption von Ethik später für sein Verständnis von Himmel und Hölle zog, sind unter anderem die folgenden:

1. Ein wesentlicher Aspekt der Gottebenbildlichkeit, mit der der Schöpfer uns ausgestattet hat, ist unsere Freiheit.[3] Unsere Würde als Geschöpfe besteht darin, keine bloßen Marionetten zu sein, die seinen Willen unfehlbar ausführen: Gott hat uns in den Rang von Beziehungspartnern erhoben, die einer freien Zustimmung zu seinen Wünschen und Plänen fähig sind. Nur unter dieser Voraussetzung ist Liebe möglich, also die freie, ungeschuldete, nicht erzwungene Zustimmung einer Person zu einer anderen Person um ihrer selbst willen. Jemanden lieben heißt (um es mit Josef Pieper auszudrücken), ihm zu sagen: „Gut, daß es dich gibt“, und zwar nicht nur gut für mich, sondern an sich gut, unabhängig davon, ob ich etwas davon habe oder nicht.

2. Liebe als freie Zustimmung zum anderen ist etwas, das die Hölle nicht versteht. Oberteufel Screwtape ist sich deshalb sicher, daß der Feind (also Gott) etwas damit bezweckt, daß er diese schwachen, nutzlosen Menschen erschaffen hat – wenn er nur wüßte, was![4] Daß Gott, dem es an nichts fehlt, völlig überflüssige Wesen geschaffen hat, um sie zu lieben, nach ihrer freien Antwort zu verlangen, kommt dem ganz auf seinen eigenen Vorteil bedachten Teufel nicht in den Sinn. Er betrachtet alles, was nicht er selbst ist, als bloßes Objekt und versucht, es seinen eigenen Wünschen zu unterwerfen.

3. Man muß Gott lieben und ihm gehorchen, aber nicht, weil er die Macht hätte, uns andernfalls zu strafen, sondern weil er das Heiligste und Wertvollste ist, das die Welt zu bieten hat. Es gibt eine Rangordnung der Dinge, in der Gott die oberste Stelle einnimmt; ihm gebührt deshalb auch in unserem Denken und Handeln der erste Platz. Da Gott auch die Güte in Person ist, sind seine Weisungen wahr und gerecht und wir wären auch dann gehalten, sie zu befolgen, wenn er keine Macht hätte, ihre Einhaltung zu sanktionieren.[5] Lewis’ früheres Argument, die christliche Lehre von Himmel und Hölle sei unmoralisch, entpuppt sich damit als ein Mißverständnis: Die Pflicht, Gott zu lieben und ihm zu gehorchen, ist sachgerecht (d. h. dem Wesen des Guten angemessen) und führt nicht in die Heteronomie, sondern zu unserer wahren Freiheit.

4. Die Sünde der Hölle ist deshalb der Stolz, die Weigerung, Gott als Gott anzuerkennen und das Verlangen, im Gefüge der Dinge selbst die oberste Stelle einzunehmen. Dies entspricht aber nicht den wahren Verhältnissen im Universum; die Hölle ist inakkurat, wie Lewis es mit seinem Freund Charles Williams ausdrückt.[6] Das Grundempfinden, das aus diesem unmöglichen Wunsch resultiert, ist die gekränkte Eitelkeit, weshalb in den Screwtape Letters die Bewohner der Hölle auch permanent um das eigene Prestige besorgt sind.

5. Gott ist als Schöpfer auch der Ursprung und Geber alles Guten. Das höchste Gut, das er uns schenken kann, ist er selbst: Es kann grundsätzlich keine größere Freude geben als die Gemeinschaft mit ihm, und kein größeres Elend als die Trennung von ihm. Auch die Freuden des Himmels und die Schrecken der Hölle bestehen deshalb letztlich aus nichts anderem als der Gemeinschaft mit Gott (und durch ihn mit allem übrigen) oder der Trennung von ihm. Die Annahme, es könne irgendein anderes Gut geben, das uns auf ewig glücklich machen würde, das Gott aber jenen vorenthält, die sich nicht seinem Willen fügen, ist eine Fiktion des Atheismus.[7]

6. Die Anerkennung des Guten um seiner selbst willen, die den Wert unserer Entscheidungen ausmacht, kann auch verweigert werden; die Freiheit, die unser Ja zum Guten überhaupt erst möglich macht, trägt die Möglichkeit ihres Scheiterns in sich. Dieses Scheitern erfolgt dort, wo es geschieht, aber nicht zwangsläufig (sodaß es Gott anzulasten wäre), sondern es ist unser eigener freier Entschluß, uns dem Tun des als Gut Erkannten zu verweigern und Böses zu tun.

7. Indem das eigentlich Böse nicht in den Auswirkungen unserer schlechten Taten besteht (so furchtbar sie im Einzelfall auch sein mögen), sondern in einer Korruption unseres Willens, könnte Gott das Tun des Bösen nur verhindern, indem er kraft seiner Allmacht sämtliche bösen Entschlüsse seiner Geschöpfe unterbinden würde. Damit wären wir jedoch zum Tun des Guten genötigt und könnten es nicht aus freien Stücken tun. Daraus ergibt sich für Lewis, daß Gott auch unsere Erlösung nicht ohne unsere Zustimmung an uns bewirken kann: Es wäre nicht unsere Erlösung, würde Gott uns diese gegen unseren Willen einfach überstülpen.[8]

8. Was aber geschieht mit jenen, die sich dem Angebot Gottes rettender Liebe auf ewig verweigern? Lewis sieht nur zwei Möglichkeiten: Entweder Gott annihiliert das Geschöpf, das sich der Gemeinschaft mit ihm verweigert, er hebt es also in seiner Existenz auf. Das käme aber einer Revision seines Entschlusses gleich, endliche menschliche Freiheit neben seiner unendlichen göttlichen Freiheit zuzulassen. Oder aber er läßt das rebellische Geschöpf in seinem Widerspruch gewähren. Lewis’ Name für diesen Zustand: Hölle. Die Möglichkeit der Hölle (nicht ihre Wirklichkeit; denn ob irgendein Geschöpf tatsächlich in diesem Zustand verharrt, läßt sich nicht wissen) ist also eine Folge von Gottes unbedingter Achtung geschöpflicher Freiheit: Nicht Gott entscheidet, ob jemand von uns in der Hölle landet, sondern wir. Die Türen der Hölle (so es sie denn gibt) sind nicht von außen verriegelt, sondern von innen.[9] Und das heißt: „Am Ende gibt es nur zwei Arten von Menschen: die, die zu Gott sagen: ‚Dein Wille geschehe‘, und die, zu denen Gott am Ende sagt: ‚dein Wille geschehe‘. Alle, die in der Hölle sind, erwählen sie. Ohne diese Selbstwahl könnten sie nicht in der Hölle sein. Keine Seele, die ernstlich und inständig nach Freude verlangt, wird sie verfehlen.“[10]

So sehr er die Weisheit seines spirituellen Lehrers George MacDonald auch schätzt, so wenig sieht sich Lewis deshalb in der Lage, diesem in seiner Allerlösungslehre zu folgen (wie sie auch von Martin Thoms in seinem Logbuch-Eintrag vom 16. März vertreten wird): Wir sind zwar aufgefordert, dies zu erhoffen, doch es ist unmöglich, aus unserer Perspektive innerhalb der Zeit zu sagen, ob sich zuletzt alle Menschen auf das Angebot von Gottes erlösender Liebe einlassen werden.

Verharren nicht doch möglicherweise einige Menschen im Zustand der Verweigerung – selbst um den Preis des Verlusts der eigenen Glückseligkeit? Können wir uns wirklich sicher sein, daß nicht doch einige mit Miltons Satan sagen: „Es ist besser, in der Hölle zu herrschen als in der Hölle zu dienen“? Lewis fordert seine Leser auf, den Ernst dieser Entscheidung, die Gott uns zumutet, nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Hölle – das endgültige Sich-Verschließen eines Geschöpfes im Kerker seines eigenen Selbst – ist eine reale Möglichkeit: nicht nur für Nero und Hitler, sondern für dich und mich.[11]

 

[1] Zum Bekehrungsweg von Lewis siehe N. Feinendegen: C. S. Lewis: Überrascht von Gott. Wie der große christliche Lehrer zum Glauben fand, Fontis Verlag, Basel 2023.
[2] Der christliche Lewis äußerte sich mehrfach zur Hölle, am prominentesten in seinen 1942 erschienenen Screwtape Letters (dt. Dienstanweisung für einen Unterteufel). Doch auch sein erstes theologisches Buch The Problem of Pain (1940, dt. Über den Schmerz), seine Traumphantasie The Great Divorce (1945, dt. Die große Scheidung) und die literaturwissenschaftliche Arbeit A Preface to Paradise Lost (1942) enthalten ausführliche Betrachtungen über das Wesen der Hölle.
[3] Vgl. C. S. Lewis: Die große Scheidung, 13. Aufl., Johannes Verlag, Einsiedeln 2013, 132.
[4] Vgl. C. S. Lewis: Dienstanweisung für einen Unterteufel, Herder Verlag, Freiburg i. Br. 1958, 84.
[5] Vgl. C. S. Lewis: Überrascht von Freude, 2. Aufl., Brunnen Verlag, Gießen, 1994, 276f.
[6] Vgl. C. S. Lewis: A Preface to Paradise Lost (Paperback Edition), London, Oxford und New York 1961, 97.
[7] Vgl. C. S. Lewis: Über den Schmerz, 6. Aufl., Brunnen Verlag, Gießen und Basel, 2007, 51f.
[8] Vgl. C. S. Lewis: Pardon, ich bin Christ, 18. Aufl., Brunnen Verlag, Gießen 2007, 61.
[9] Vgl. C. S. Lewis: Über den Schmerz, 128.
[10] C. S. Lewis: Die Große Scheidung, 78.
[11] Vgl. C. S. Lewis: Über den Schmerz, 129.

 

Abbildung: Gustave Dorés Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie, Inferno, Canto III: Das Höllentor (Wikimedia Commons)

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